Radio Miracoli und andere italienische Wunder
ihn.
»Nein, nein, nichts …«, wiegelt er ab.
Wir lassen ihn nicht aus den Augen.
»Nein, es ist wirklich nichts, ich dachte nur …«
»Was?«, frage ich.
»Aber nein, das ist albern …«
»Wie – albern?«, fragt Sergio gereizt.
»Nichts, ich musste nur an den Namen des Viertels denken, in dem ich geboren bin …«
»Und?«, sagt Claudio, um ihn zum Weiterreden zu animieren.
»Aber nein, das geht nicht. Obwohl er eigentlich ganz gut zu uns passen würde …«
»Willst du jetzt wohl endlich rausrücken mit der Sprache, du Penner?«, brüllt Sergio.
Nun lasse ich meinen Kopf auf die Tischplatte sinken. Als ob die Situation nicht schon nervig genug wäre, verfallen unsere beiden Kampfhähne wieder in ihr übliches Geplänkel: Mäßige dich im Ton. Ich rede, wie es mir passt. Arrogantes Kommunistenarschloch. Verzogener Faschistenfratz. Entschuldige dich auf der Stelle. Wofür soll ich mich entschuldigen? Entschuldige dich, oder ich gehe. Dann hau doch ab. Das würde dir so gefallen, jetzt bleibe ich erst recht.
»Na gut! Casa dei Pazzi !«, sagt Fausto schließlich.
Irrenhaus. Wir sehen einander an.
»Das ist mir jetzt einfach so eingefallen. Ich sage ja nicht, dass der Name zutreffend ist, aber irgendwie passt er doch.«
»Tja, wie der Arsch auf den Eimer«, höhne ich.
»In der Tat«, meint Sergio.
Der Vorschlag ist nicht übel, auch wenn er selbstverständlich nicht zutrifft. Dass wir den Vorschlag überhaupt in Betracht ziehen, ist nur dem Wunsch geschuldet, dieses Problem endlich ein für allemal vom Tisch zu haben. Obwohl wir alles andere als überzeugt sind, den richtigen Namen gefunden zu haben, verharren wir weiterhin reglos, als das Gespräch längst verstummt ist, starren in die Luft und hoffen darauf, dass sich einer von uns endlich räuspert oder eine entsprechende Bemerkung macht, damit wir die Sitzung beenden können. Während mein Blick noch umherschweift, fällt mir auf, dass Vito uns vom Küchenfenster aus beobachtet. Genauer gesagt, dass er lauschend den Kopf geneigt hat.
Ich trete an das Fenster heran, und er deutet, wortlos und ohne mich anzusehen, auf die Rasenfläche zu unseren Füßen.
»Wir hatten keine andere Wahl«, sage ich.
Vito nickt und schaut mich an. Er scheint nicht ganz zu begreifen.
»Aber wir haben sie mit der Plane zugedeckt«, füge ich hinzu.
Er hat zwar genickt, aber ich glaube nicht, dass er auch nur ein Wort von dem, was ich gesagt habe, gehört hat. Sergio und Fausto tun, als ob nichts wäre, und Claudio zuckt die Schultern.
»Tja«, sage ich mit einem Blick auf die Uhr. Und damit ist die Sitzung beendet.
39
Wie besprochen, nützen wir einen Regentag, um eine Liste mit den Namen von Freunden, Verwandten und Bekannten zusammenzustellen, die wir zur Einweihung unseres Agriturismo anschreiben wollen. Im Vorfeld schwirrten bereits tagelang ermutigende Zahlen durch den Raum. Bei Claudio war von hundertfünfzig Personen die Rede; um die Hundert, habe ich angekündigt, um mich nicht festzulegen; ungefähr fünfhundert hat Fausto mit der Miene desjenigen ins Rennen geworfen, der aus schierer Verzweiflung gezwungen ist, sich mit einer vagen Schätzung zu begnügen. Außerdem hat er sich mit wichtigen Freundschaften zu Persönlichkeiten gebrüstet, die jeder Neueröffnung zu sofortigem Erfolg verhelfen würden. Wer sind diese Leute, haben wir ihn gefragt. Fußballer, Sänger, Schauspieler, Models? Aber er hat nur gelächelt und vielsagend die Augenbrauen gehoben, vor allem bei den Models, wie mir schien.
Ausgerechnet Sergio hat sich vor der Versammlung gedrückt. Er könne auch so ungefähr fünfzehn Namen von Freunden und Kollegen beisteuern, hat er gemeint, und müsse deswegen nicht eigens eine Liste zusammenstellen. »Macht nichts«, haben wir ihn beruhigt und hinzugefügt: »Fünfzehn Namen reichen auch«, damit er sich nicht schlecht fühlt. Woraufhin er uns von oben herab angeschaut hat, als ob wir die Trottel wären. Dann ist er mit Vito weggegangen.
»Habt ihr seine Fresse gesehen?«, fragt Fausto.
»Manchmal hätte ich wirklich Lust, ihm eine zu kleben«, lässt Claudio aus der imposanten Höhe seiner ein Meter fünfundsechzig verlauten. Sechzig, wie aber in seinem Ausweis steht.
»Es wäre ein Wunder, wenn es wirklich fünfzehn Menschen gibt, die ihn ertragen«, witzelt Fausto.
»Vielleicht hat er uns mitgezählt«, erwidere ich.
Ich bin der Einzige, der die unfreiwillige Polemik dieser Bemerkung erfasst. Claudio und Fausto lachen sich
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