Radio Miracoli und andere italienische Wunder
versucht Sergio es erneut mit seiner Lieblingsidee.
Stöhnend deute ich auf das Fenster. »Nein … schaut hin, jetzt streiten sie auch noch.«
Wir drängen uns hinter den Küchenvorhängen und sehen, wie eine der jungen Frauen erbost vor ihrem Freund wegläuft.
»Von wegen großes Silvestermenü. Das dauert keine halbe Stunde mehr, und die fahren ab. Ihr werdet schon sehen«, prophezeie ich.
»Uns muss auf der Stelle etwas einfallen!« Sergio stöhnt.
Es ist nur schwer vorstellbar, dass dieselben Gehirne, die zuvor die brillante Idee mit dem Volleyballnetz hatten, nun mit einem genialen Geistesblitz aufwarten werden. Ringsum leere Gesichter. Fausto tigert hin und her. Sergio streicht sich über den Bart. Claudio schüttelt den Kopf.
»Jetzt bräuchten wir wirklich dringend eine gute Idee …«, sagt Elisa und zeigt auf die Gruppe im Garten.
Die erboste junge Frau bedeutet ihrem Freund gerade, den Mund zu halten, und schaut sich suchend um. Ihre neugierig gewordenen Freundinnen folgen ihr, als sie ein paar Schritte erst in die eine, dann in die andere Richtung macht. Einen Moment später begeben auch sie sich auf die Suche. Eine der Frauen kniet sich sogar hin und drückt das Ohr auf den Boden.
»Waren wir uns nicht einig, sie von dort fernzuhalten, verdammt noch mal?«, flucht Sergio.
»Und wie willst da das machen? Du kannst ihnen wohl kaum verbieten, im Garten herumzulaufen!«, erwidert Fausto.
»Zwei Tage haben wir damit verplempert, uns das Menü auszudenken! Stattdessen hätten wir lieber ein tiefes Loch graben und diese beschissene Batterie ein für allemal abklemmen sollen!«, sage ich.
Neugierig verfolgt Elisa unsere Diskussion und wendet sich dann wieder den jungen Leuten zu. Einer lauscht gerade an einem Baum und ruft die anderen herbei. Die schütteln aber heftig den Kopf. Nein, von da kommt die Musik nicht. Erneut gehen alle in die Knie, um am Rasen zu horchen.
Jetzt ist alles verloren, denke ich. Alles umsonst. Unsere Arbeit, die Schwielen an unseren Händen, die Fahrten über die Felder mit dem Renault, Claudios Ohnmachtsanfälle, die Gespräche mit Elisa – alles vorbei und perdu. Ohne genau zu wissen, was ich eigentlich vorhabe, lasse ich die anderen am Fenster zurück und gehe aus dem Haus. Kaum richten sich die Blicke der jungen Leute auf mich, weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll. Doch bereits bei der ersten Frage löst sich etwas in mir. Ich fange an zu reden. Langsam verdichte ich die losen Fäden einer Idee zu einer kurzen Geschichte. Die neugierigen Gesichter meiner Zuhörer machen mir Mut fortzufahren, ohne mich von den bestürzten Mienen der vier Freunde am Fenster ablenken zu lassen. Als ich meine Erzählung beende, herrscht einen Moment lang Verwirrung, und die jungen Leute starren mich wortlos an. Da taucht Elisa hinter meinem Rücken auf, und die Frau, die noch vor wenigen Minuten so wütend auf ihren Freund war, lächelt ihn verzückt an.
»Warum hast du uns das nicht früher erzählt?«
»Die Musik …?«, fragt Elisa zögernd.
»Er hat uns die Legende erzählt. Sie ist wunderschön!«
Ich beobachte Elisa, die sich tadellos hält.
»Es ist ja nur eine Legende, und offenbar gibt es auch eine logische Erklärung dafür«, antworte ich.
»Welche denn?«, fragt der junge Mann.
Elisa dreht sich zu mir um.
»Tja, man ist noch immer dabei, die Angelegenheit zu untersuchen …«
»Vielleicht ist auch nur irgendwo ein Radio vergraben«, erwidert er mit skeptischer Miene.
»Na, klar doch. Weil ja so ein Radio, das man in der Erde vergraben hat, trotz Feuchtigkeit, Regen und allem anderen noch prächtig funktioniert, wie? Und außerdem kommt der Klang nicht von einem bestimmten Punkt …«, wendet seine Freundin ein, die nicht die geringste Lust hat, sich diesen magischen Augenblick verderben zu lassen.
Jetzt prasseln alle möglichen Fragen auf mich ein, und ich beginne, wie ein professioneller Lügner meine Antworten zu formulieren.
» Warum spricht man im Dorf nicht darüber?«
»Weil es gemäß der Meinung der hiesigen Bevölkerung Unglück bringen würde.«
»Warum haben wir die Musik nicht früher gehört?«
»Weil die Musik in ihrem eigenen Rhythmus kommt und geht, der sich uns bisher noch nicht erschlossen hat.«
»Warum ist der Rasen hier dichter? Liegt das an der Musik?«
»Für das Frühjahr haben sich schwedische Agronomen angekündigt, um dieses Phänomen zu untersuchen.«
»Warum habt ihr das nicht auf eure Website gesetzt?«
»Weil der Ort hier
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