Radio Miracoli und andere italienische Wunder
sonst zu einer Pilgerstätte für Mystiker, andere Fanatiker und Journalisten werden würde. Wir wollen aber unsere Ruhe haben.«
Die Sicherheit, mit der ich antworte, befriedigt die Neugier der jungen Leute und handelt mir einen abgründigen Blick von Elisa ein.
»Talent hast du ja. Kompliment!«, flüstert sie mir zu.
»Bleiben wir doch hier, holen uns ein paar Stühle und genießen die Aussicht mit musikalischer Untermalung«, schlägt eine der jungen Frauen vor.
»Ich habe eine noch bessere Idee. Heute Abend werden wir die Legende mit einem rauschenden Fest feiern«, sagt Elisa geistesgegenwärtig. Ein genialer Einfall.
Das Silvestermenü soll etwas ganz Besonderes werden. Für unsere Gäste decken wir vor dem Kamin und für uns in der Küche. Aber die jungen Leute wollen nichts davon hören, und so bereiten wir eine einzige große Tafel vor. Die Mär von der Musik ist natürlich das Gesprächsthema Nummer eins, und bis auf ein paar sich widersprechende Antworten schlagen wir uns wacker. Wir genießen das gute Essen und den Wein, aber die jungen Leute drängen unaufhaltsam wieder nach draußen, wo wir auf dem Rasen Holz für ein großes Lagerfeuer aufgeschichtet haben. Also setzen wir uns gleich nach dem Essen im Kreis außen herum und entzünden den Holzstapel. Nach kurzer Zeit schießen die Flammen in die Höhe und erleuchten den Garten mit ihrem roten Schein. Die Giulia bleibt stumm, aber der Sternenhimmel, der Wein und die gespannte Erwartung verleihen der Situation eine einmalig gefühlvolle Atmosphäre.
Der Einzige, der sich Sorgen macht, ist Fausto. Zwei Schritte vom Feuer entfernt und hochrot im Gesicht von der Hitze, fängt er plötzlich an, wie Rumpelstilzchen auf und ab zu hüpfen.
»Ist ein bisschen kühl, wie?«, meint er, als die Gäste ihm befremdete Blicke zuwerfen.
»Hör auf damit, verdammt!«, flüstere ich und trete hinter ihn.
Falls tatsächlich nach einem seiner Sprünge Musik erklingen sollte, würde den jungen Leuten ein Licht aufgehen – und dann adieu Legende, adieu Magie.
Als es Mitternacht schlägt, lassen wir die Korken mit ein paar Sekunden Verspätung knallen, da wir alle schon ziemlich betrunken sind und die Korken sich weigern, elegant aus den Flaschenhälsen zu gleiten. Das Dorf liegt taghell erleuchtet vor uns und funkelt hin und wieder auf wie eine Diamantenkrone. Irgendwie hören sich die Böllerschüsse merkwürdig an, was mich auf den Gedanken bringt, dass vielleicht jemand das Durcheinander ausnützen könnte, um eine alte Rechnung zu begleichen.
Der von Claudio gestiftete Spumante ist schal und schmeckt nach nichts, aber in der Euphorie des Augenblicks nimmt niemand daran Anstoß. Erst nach dem letzten Prosit und nachdem wir einige Knallkörper abgefeuert haben, die jedoch traurig in der Landschaft verhallen, fällt uns auf, dass ein Quartett aus Streichern sich anschickt, unsere Feier musikalisch zu untermalen.
»Händel … Suite in F-Dur … zwei Oboen, Fagott, Hörner und Streichinstrumente«, erklärt Vito.
Andächtiges Schweigen.
»Kinder, das ist ein Menuett!«, fügt er hinzu und verbeugt sich galant vor Elisa, ehe er beginnt, mit ihr einen höfischen Tanz à la Sonnenkönig aufzuführen. Schwebende Schritte, Verbeugungen, Kratzfüße. Die jungen Leute folgen paarweise ihrem Beispiel und imitieren ihre Figuren. Schwerfällig versucht Elisa, der Musik zu folgen: Mit einer Hand hält sie die von Vito, während sie die andere ohne jeden Anflug von Grazie zu bewegen versucht. Ich kann es kaum glauben. Fausto gibt sich einen Ruck und fordert eine der jungen Frauen auf, während Claudio Vitos Tanzpartnerin entführt, die sich mit einem Knicks verabschiedet und mir nacheilt. Beim Anblick der Paare, die um das Feuer tanzen, kann ich meiner kleinen Sammlung glücklicher Augenblicke nach langer Zeit wieder einmal einen neuen hinzufügen.
»Sag mal, Vito … welche sind noch mal die Oboen?«, frage ich, ohne meinen Blick von Elisa zu wenden.
»Hör genau hin … sie setzen nach den Hörnern ein … pararara-pa-pà. Das sind sie!«
Ich habe ihn nicht verstanden, aber das macht nichts. Es könnte trotzdem nicht schöner sein.
Ich gebe dem Feuer neue Nahrung, während die anderen zu den Klängen der Sinfonie Nummer 100 von Haydn im Stechschritt marschieren, ehe sie zu einem Konzert für Violinen und Streicher, dessen Namen ich nicht mehr weiß, Pirouetten drehen.
Die grüne Alfa Romeo Giulia ist nicht nur ein Stück in der Erde vergrabenes Eisen, sondern ein
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