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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Programm per Mittelwelle ausstrahlte, in magerer Qualität, aber deutlich lockerer und poppiger
     als alles, was die öffentlich-rechtlichen machten, unter Führung von Glasauge Frank Elstner. Doch es nervte mich, das quakige
     Programm zu hören, ich schwenkte oft auf
AFN – American Forces Network
, die viel Rock spielten, aber auch leicht verkrampft rüberkamen,
ziemlich
sogar für amerikanische Verhältnisse, wie ich später feststellte. Die anderen Besatzersender der Briten und Franzosen sparte
     ich mir völlig.
    Ich versuchte, alle Informationen über private Radiostationen zu sammeln, die es gab, aber das war wenig, fast nichts. Zu
     diesem Zeitpunkt noch. Ich schrieb einige amerikanische Stationen an, aber bis auf ein paar Aufkleber – die ich akribisch
     hortete, der Anfang einer großen Sammlung – kam kaum was dabei heraus.
Radiomann werden
stand ganz oben auf meiner Lebensplanungsliste, aber fürs erste mußte ich das Ziel beiseite schieben. Ich besuchte einen grauenhaften
     Volkshochschulkurs, um mein Englisch zu verbessern, inmitten von angehenden Fremdsprachensekretärinnen und gelangweilten Rentnern,
     das brachte wenigstens ein bißchen was. Irgendwann würde ich nach Amerika fahren, in das Land des privaten Radios, perfektes
     Englisch konnte da nicht schaden.
     
    Zwei Querstraßen weiter gab es einen kleinen, etwas seltsamen Plattenladen, mitten im reichlich türkisch bevölkerten Nordneukölln.
Sound-Fashion
handelte aber nicht nur mit Platten, sondern gleichzeitig mit etwas, das Rudi, der Besitzer, als
junge Mode
bezeichnete: Jeans und T-Shirts. Immerhin hatte Rudi die neuesten Platten, sofort bei Erscheinen, und sogar einen reichen
     Fundus an gebrauchten, was immer ein Vabanquespiel war: Nicht jeden Kratzer konnte man beim visuellen Check entdecken. Es
     wollte aber auch kein |41| Verkäufer eine Dreiviertelstunde warten, bis man das Album durchgehört hatte. Irgendwann kaufte ich bei
Sound-Fashion
Mike Oldfields Live-Doppelalbum
Exposed
, für fünf oder sechs Mark, gebraucht. Aber Seite drei war völlig im Eimer, Seite vier hatte sogar Kratzer auf der Außenspur,
     so daß man nicht von Anfang an hören konnte. Eben noch stolz wie Oskar – neu hätte ich mir das phantastische Album nicht leisten
     können –, stand ich zwei Stunden später wieder bei Rudi auf der Matte und hielt ihm anklagend das weiße Cover entgegen:
    »Die zweite Platte ist totaler Schrott.«
    Rudi war Anfang Dreißig, machte einen ziemlich tranigen Eindruck, hatte schon ziemlich heftige Geheimratsecken und einen schütteren
     Kranz um das, was einmal ein Wirbel gewesen war. Er ging immer mit leicht nach vorne gebeugten Schultern, wenn er – Jeans,
     Stoffturnschuhe, schwarzes T-Shirt, speckige Lederjacke – durch seinen Laden schlurfte, um Klamotten einzusortieren oder zu
     prüfen, ob die Platte vielleicht doch da war, obwohl sie der Kunde nicht gefunden hatte. Er sah ein bißchen traurig aus, verloren,
     aber ich spürte, daß ihm der Job eigentlich Spaß machte. Etwas anderes stimmte nicht.
    »Oh«, sagte er. »Ich nehm’ sie zurück. Tut mir leid.«
    »Schade. Das ist so ein tolles Album.«
    »Ich hab’ das Original natürlich auch da. Verschweißt.«
    »Kann ich mir nicht leisten. Ich habe noch keinen Job. Die Raten für die Stereoanlage machen mich schon völlig platt.«
    Ich strich die Münzen vom Tresen ein und wollte mich umdrehen, um zu gehen.
    »Keinen Job?«
    Ich drehte mich wieder um. Rudi stand da, die Stirn krausgezogen, und schien an etwas zu denken, das mit Gemischtwarenläden
     für Musik und Mode wenig zu tun hatte. Langsam nickte ich: »Weiß auch noch nicht so richtig, was ich machen soll. Erst mal
     jobben. Keine Ahnung.«
    »Wie wär’s mit einem Plattenladen?«
    |42| Ich riß die Augen auf.
» Echt ?«
    »Klar. Ich würde gerne ein bißchen kürzertreten, mir geht’s im Moment nicht so riesig, also vielleicht halbtags machen oder
     so. Aber ich kann nicht viel zahlen.«
    »Egal«, platzte ich heraus.
In einem Plattenladen arbeiten.
Genial. Da hätte ich im Traum nicht dran gedacht. Zeitungen austragen, Lagerarbeit, so was; Dinge, die man als abgebrochener
     Oberschüler tun kann. Putzen. Ich hatte tatsächlich über
putzen
nachgedacht. Das hatte ich noch nie gemacht, ehrlich nicht, jedenfalls bis vor kurzem: Meine Mutter hatte sich keinen Fitzel
     der Hausarbeit abnehmen lassen,
picobello
war ein Zustand, den nur sie selbst erzeugen konnte, und natürlich hatte ich mich nicht darum

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