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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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ein prächtiger Mensch, freundlich, offen, ein erstklassiger Zuhörer,
     ein guter Gesprächspartner, eine Perle von einem Wirt. Solche Samstagabende endeten oft erst am Vormittag des darauffolgenden
     Sonntags, Miles erzählte über Irland, und ich schwärmte von meinen Ideen für ein eigenes Radio.
Noch
persönlicher,
noch
direkter,
noch
ehrlicher. Es mußte nicht die Nummer eins sein, viel wichtiger wäre mir, die
richtigen
Leute zu erreichen. Miles verstand das nicht. Aber das machte nichts, Hauptsache, er hörte mir zu.
    Er stellte mir ein neues, schlecht gezapftes Red vor die Nase, obwohl mein letztes noch halb voll war.
    »Meine Tochter kommt morgen nachmittag.« Er strahlte mich an, als hätte er mir etwas offenbart, das weltgeschichtlich relevant
     wäre. Sie haben Leben auf dem Mars entdeckt.
    Ich nickte. »Schön.« Miles hatte mir bisher noch nicht erzählt, daß er eine Tochter hatte.
    »Mann, wir haben uns fünfzehn Jahre nicht gesehen. Ihre Mutter hat mich verlassen, ist mit ihr weggezogen, hat ihr erzählt,
     daß ich gestorben wäre. Sie hat vorgestern erst erfahren, daß ich lebe. Ich habe sie acht Jahre lang gesucht, nachdem ich
     erfahren hatte, daß Iris gestorben ist. Fünfzehn Jahre. Stell dir das mal vor!«
    Ich stellte mir vor, versuchte es wenigstens. Miles glühte, und ich freute mich mit ihm. Wir begossen das freudige Ereignis,
     ich reichlich, Miles eher zurückhaltend – er wollte das Wiedertreffen nicht mit einer Fahne dekorieren. Gegen neun Uhr morgens
     polterte ich aus dem
Irish Heaven
, aber ich hatte es zum Glück auch nicht weit, nur quer über den Platz und dann drei Stockwerke.
     
    Mein Anrufbeantworter blinkte, was erstaunlich war, denn nur ganz, ganz wenige Leute hatten meine Privatnummer, und diese
     wenigen wußten ganz genau, wo ich samstagabends steckte. Vögler hatte die Nummer vom
Irish Heaven
, Lindsey wohnte um die Ecke. Freunde außerhalb der Station hatte ich nicht.
    |56|
Mutter
. Meine verdammte Mutter. Ich ließ mich aufs Sofa fallen und starrte den Anrufbeantworter an. Ein Trommelfeuer von Erinnerungen
     brach über mich herein, die meisten davon ungut, eigentlich alle. Meine Eltern. Es gab sie noch. Das hatte ich wirklich verdrängt,
     vergessen, als die anonymen Nachsendungen irgendwann aufgehört hatten, vor Jahren. Ich fühlte mich plötzlich wieder nüchtern,
     was eigentlich ausgeschlossen war, und wußte nicht, was ich tun sollte. Erst Miles, und jetzt ich, die Nacht der großen Eltern-Kind-Wiedervereinigung,
     dachte ich, mußte schließlich lächeln. Aber nur kurz. Was zur Hölle wollten sie von mir?
Es ist etwas geschehen. Egal, zu welcher Zeit
. Vielleicht war ja mein Vater gestorben. Vielleicht hatte sie ihn totgeprügelt oder wieder aus dem Fenster geschmissen. Möglicherweise
     waren sie auch einfach nur beim Besoffenfahren erwischt worden, endlich. Ich grübelte, konnte mir aber nichts vorstellen,
     das
geschehen
sein könnte – und mich irgendwie betraf. Ich hatte mit ihnen abgeschlossen, und sie wußten das. Ich glaubte auch nicht, daß
     meine Mutter allen Ernstes erwarten würde, daß ich bei der Beerdigung meines Vaters auftauchte. Sofern eine anstand.
    Ich holte mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank. Es war halb zehn, Sonntagvormittag. Normalerweise würde ich mich jetzt ganz,
     ganz tief in die Falle hauen und bis zum frühen Abend pennen. Dann essen gehen, mit irgendwem, gerne auch alleine.
Nachtratten
um Mitternacht. Ich nahm ein paar Schlucke, dann stellte ich die Flasche ab, schnappte mir das Telefon und wählte die Nummer.
     Wußte sie wirklich noch auswendig.
    »Kunze«, sagte sie. Meine Mutter.
    »Ja, hier auch. Donald. Was ist?«
    »Oh, endlich. Wo warst du denn so lange?«
    Ich starrte den Apparat auf meinen Knien an und fragte mich, womit ich das verdient hatte, was das sollte. Hölle. Bitte, vorbei,
     schnell!
    »Was ist?« wiederholte ich.
    |57| »Etwas Schreckliches ist passiert«, sagte sie.
    »Ja, ich weiß, das hast du schon meiner Maschine gesagt. Aber
was

    Ich hörte sie atmen, tief Luft holen.
    »Veronika ist tot. Sie hat sich umgebracht.«

|58| 7. I Don’t Like Mondays
1983
    »Meine Eltern waren auf verspäteter Hochzeitsreise, drei Monate per Wohnmobil durch die USA, und plötzlich setzten die Wehen
     ein«, erzählte Liddy. »Es war drei Wochen zu früh. Ich bin in Philadelphia zur Welt gekommen.«
    »Cool.«
    Meine Gedanken waren mit ganz anderen Dingen beschäftigt.
    Wir spazierten um den Grunewaldsee. Noch

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