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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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mal zum Mitschreiben:
Wir spazierten
. Seit den versoffenen Ausflügen mit meinen Eltern hatte ich mich nicht mehr auf diese Art betätigt – freiwillig.
    Frühherbst in Berlin, was alles bedeuten konnte; in diesem Jahr war es mild, die meisten Bäume noch zum größten Teil grün,
     vierundzwanzig Grad, strahlender Himmel – ich nahm es kaum wahr. Ein großer, schwarzer Hund ohne Schwanz hechelte an uns vorbei,
     mit flatternden Ohren, in weiten, kräftigen Sätzen. Sekunden später hechelte ein kahlköpfiger junger Mann ebenfalls an uns
     vorbei, in etwas unbeholfenerer Gangart. Eine schwere, nietenbesetzte Lederhundeleine schlug an seine Unterschenkel, und er
     rief: »Püppi! Püppi!« Ich feixte unfroh, Lydia bückte sich nach einem herzförmigen Kieselstein.
    »Philadelphia hieß in der Antike eine Stadt, in Kleinasien. Genauer, in Lydien. Ein Königreich, das übrigens mal von einem
     gewissen Krösus regiert wurde.
Lydien
. Daher habe ich meinen Namen.«
    »Wow.« Ich staunte
wirklich
, war einen Moment lang vom trüben Geschehen in meinem Kopf abgelenkt. Daß sich Eltern
solche
Gedanken machten – meine hatten mich nie darüber aufgeklärt, warum ich ausgerechnet Donald hieß, aber sehr wahrscheinlich
     hatte eine gewisse Comicente Pate gestanden. |59| Im günstigsten Fall. Vielleicht hatten sie auch einfach nur gewürfelt oder so was – eine Telefonbuchseite aufgeschlagen, im
     Vollrausch. Zuzutrauen war ihnen das.
    Lydia nahm meine Hand, umspielte und streichelte meine Finger, lächelte mich an. Ich reagierte kaum, versuchte ein Lächeln,
     aber mir war ganz anders.
    »Alles okay?« fragte sie, aber es klang nicht wirklich besorgt – sie war bester Laune, ihre Mama sollte am Abend in Berlin
     eintreffen, zu Besuch, sie freute sich, und aus diesem Anlaß erzählte sie mir auch all diese Sachen.
    »Jup.« Ich sah zu Boden, eigentlich den ganzen Montagmorgen schon.
    Sie sprach weiter, von ihren Eltern, diesen phantastischen, herzensguten,
kinderlieben
Leuten, die Liddy anbeteten und die Liddy anbetete und die mit meinen so viel gemein hatten wie Donald Duck mit Krösus. Ich
     hätte neidisch werden können.
    Aber der vergangene Samstag, zwei Tage zurück, der ging mir nicht aus dem Kopf. Im Gegenteil: Unaufhörlich dachte ich daran.
     Es wurde immer schlimmer. Ich stand unter Druck, und ich hatte nicht die Spur einer Ahnung, wie ich damit umgehen sollte.
     
    Ein Mädchen war ins
Sound-Fashion
gekommen. Klar, ständig kamen Mädchen ins
Sound-Fashion
, dafür war der Laden ja schließlich da. Aber dieses Mädchen flirtete mit mir. Obwohl ich inzwischen eine Weile mit Liddy
     zusammen war und sich mein geschlechtliches Selbstbewußtsein durchaus entwickelt hatte – schließlich war ich mit
Liddy
zusammen, der allerbesten Frau auf diesem und sämtlichen benachbarten Planeten -, brauchte ich ein bißchen, um das zu merken.
     Zuerst war ich belustigt, dann verunsichert.
    Sie lehnte am Tresen, strahlte mich an. Achtzehn, neunzehn, blond, schlank, grauäugig, eigentlich nichtssagend, aber trotzdem
     attraktiv. Weiblich.
    »Das ist hübsch«, meinte sie und streichelte mit beiden |60| Händen über das T-Shirt, das sie gerade gekauft und sofort angezogen hatte. Sie streichelte
vorne
über das T-Shirt. Von oben nach unten. Fasziniert beobachtete ich, wie ihre Brüste wieder Normalposition annahmen. Ebenso
     fasziniert beobachtete die Blonde
mich
.
    Ich grummelte ein
Mmh-mmh
und versuchte, mich auf
Going Deaf For A Living
zu konzentrieren. Obwohl es ein paar Hits enthielt, mochte ich das Album wirklich gerne. Normalerweise.
    »Das muß Spaß machen, hier zu arbeiten.«
    »Mmh-mmh.«
    So ging es weiter. Sie blieb am Tresen stehen, schwatzte belangloses Zeug, niemand kam in den Laden – ungewöhnlich für einen
     Samstag.
Much too proud to share my heart around with the likes of you when you stab me with your eyes …,
sang John Watts. Ich sah Liddys Augen vor mir, eine Mikrosekunde lang.
    Meine Verunsicherung wich einem sachten Interesse, ich schwatzte ein bißchen Unfug über den Job, gab mich cool. Noch nie hatte
     mich eine Frau so offensiv angemacht, ich dachte kurz an die erste Begegnung mit Liddy, gleiche Stelle, ähnlicher Vorgang,
     aber gleichzeitig … anders. Mein Interesse verringerte sich ein wenig bei diesen Gedanken, worüber ich froh war, bis sie lächelnd
     sagte:
    »Du hast eine schöne Stimme.«
    Ohne meine Reaktion abzuwarten, fragte sie: »Hast du eine Freundin?«
    Das war, als hätte sie

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