Radio Nights
gab eine Einweihungsparty, zu der so irrsinnig viele Leute kamen, daß ich
im Anschluß noch mal renovieren mußte. Ich war ein Star, und
101.1 PowerRock Berlin
hatte ihnen wirklich die Köpfe weggeblasen. Wir waren die Nummer eins, und wir blieben es: Lindsey, Vögler und ich sorgten
dafür. Die Werbekohle floß, wir hatten bereits im zweiten Jahr so tiefschwarze Zahlen geschrieben, daß man sich eigentlich
dafür |53| schämen mußte, sagte Vögler jedenfalls. Mein
Nachtratten
hatte Quoten, richtig dicke Quoten: So was gab es bei keinem anderen Sender, da hörten nachts nur Taxifahrer und Nachtwächter
zu. Wir beschäftigten ab Mitternacht zwei Telefontanten, um den Ansturm der Anrufer halbwegs bewältigen zu können. Bei der
Einjahresparty – zwölftausend Leute in der Deutschlandhalle, zwanzigtausend schreiend davor – hatten sie
mich
gefeiert.
Das war ein ganz unglaubliches Event. Wir sendeten natürlich live. Am Ende des Ansprachenkrempels ging Vögler auf die Bühne,
auf der hinter einem Vorhang bereits die Band aufgebaut hatte, die gleich spielen sollte. Alle Hörer waren aufgefordert worden,
ihre
Minis
mitzubringen. Vögler bat das Publikum, die Geräte einzuschalten. Dann sendeten wir – es war in der Halle nicht zu hören –
das Intro des ersten Songs, den die Band spielen würde:
Bad to the bone
. Es klang zwar fürchterlich, hörte sich aber total irre an, als ein paar tausend Transistorradios das Gitarrenintro spielten,
ohne daß über die Hallen-PA etwas zu hören war. Ich stand auf der Bühne und mußte gegen Tränen ankämpfen. Dann ging der Vorhang
auf,
George Thorogood and the Delaware Destroyers
– sie spielten stundenlang, die Halle tobte, und weil viele ihre Minis anließen, gab es eine ganz besondere Akustik.
Es lief einfach bestens, wir hatten es wirklich geschafft. Vögler ließ uns machen, weitestgehend, legte nur hier und da sein
Veto gegen einen Beitrag ein oder verlangte, daß eine Platte nicht mehr so häufig gespielt wurde – meiner Meinung nach, um
uns zu demonstrieren, daß er wichtig blieb, auch, nachdem er das Ding angeleiert hatte.
Und das Programm trug sich selbst, warb für sich selbst: Wir machten keine dämlichen Gewinnspiele, sondern verschenkten ab
und zu ein paar wertarme Gimmicks, wir präsentierten keine Konzerte, um unseren eigenen Namen in Kleinanzeigen unterbringen
zu können, wir plakatierten spärlich, aber beharrlich. Die
One-O-One-One-Minis
hatten |54| sich zum begehrten Sammlerobjekt entwickelt, wir verscheuerten sie inzwischen für einen Zwanni das Stück, und man sah Dutzende
Leute auf den Straßen, die die kleinen (und nicht sehr gut klingenden) Schächtelchen mit sich herumtrugen, stolz, fast ostentativ,
anstelle von Walkmännern. Unsere Aufkleber hingen an so vielen Autos, daß es fast zum Lachen war. Und es hatte Krisensitzungen
gegeben, gab sie immer noch, bei der sogenannten Konkurrenz. Der Berliner Radiomarkt war in heller Aufregung, und keiner wußte,
was man gegen uns unternehmen sollte. Die Ideen sprudelten, das Programm donnerte, was übrigens auch daran lag, daß wir alle
Platten mit leicht überhöhter Geschwindigkeit abspielten (das steigert die Dynamik) und ein ziemlich baß- und höhenlastiges
Signal rausfeuerten. Berlin war im
One-O-One-One-PowerRock-Fieber
. Lange nicht mehr solchen Spaß gehabt. Noch nie.
Miles war der Archetyp eines Iren, rotgesichtig, rothaarig, knollnasig, stämmig, mit der Kontur eines Bierfasses und der Seele
eines
protestantischen
Beichtvaters. Der Wirt des
Irish Heaven
, meiner Stammkneipe am Marheinekeplatz.
Und er war aufgeregt, rannte hinter dem Tresen hin und her, als würde er vor irgendwas weglaufen, vergaß Bestellungen, zapfte
das falsche Bier, mischte einen Gin-Tonic mit Wodka und Selters. Ich beobachtete ihn eine Weile, genoß mein Irish Red und
den Jack Daniel’s dazu, erholte mich von der Woche: Samstagabend, mein freier Tag, was nicht immer stimmte, denn die Leute
rissen sich darum, mich für
Mucken
zu buchen, Privat-oder Firmenparties, Veranstaltungen jeder Art, solche Sachen, wo ein Discjockey vom Radio eine große Nummer
ist, obwohl er netto nur zehn Minuten spricht und den Rest der Zeit Musik auflegt, wenn überhaupt, und
das
kann eigentlich jeder.
»Was ist eigentlich mit dir los?« fragte ich den Iren irgendwann, als mir das Gezapple auf den Geist zu gehen begann. |55| Miles und ich hatten ein extrem gutes Verhältnis; er war
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