Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
Vom Netzwerk:
Meinung nach etwas alt, hausbacken,
unrichtig
klang, einfach nicht zu ihr paßte. Als ich ihr erklärte, daß ich Donald heiße und Donny genannt werde, unterdrückte sie auf
     unglaublich charmante Art ein Lachen. Da war das Eis gebrochen. Was heißt
Eis
. Es gab keins. Liddy war neunzehn, Liddy hatte sich in mich verguckt, und das war es wohl auch, was mit mir passiert war:
Vergucken
. Wir schwatzten ein halbes Dutzend Teekannen lang, ich hauptsächlich über Radio und über Musik, die einzigen Themen, von
     denen ich halbwegs etwas verstand, von den amerikanischen Charts. Der Trend, der später die Achtziger kennzeichnete, begann
     langsam: In Amerika war Anfang des Jahres Blondie auf eins (»The Tide Is High«), dann Kool & The Gang (»Celebration«),
     später Leute wie REO Speedwagon (»Keep On Loving You«), Daryl Hall & John Oates (»Kiss On My List«), insbesondere
     aber, später auch in Europa – damals gab es noch große Verzögerungen zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Kontinent
     –, Kim Carnes mit »Bette Davis’ Eyes«, der größte
Hit
des Jahres.
She’s got Bette Davis’ eyes
– welche Augenfarbe hatte Bette Davis eigentlich? Grün?
     
    Liddy erzählte über das Studium, das sie gerade angefangen hatte, Publizistik und Germanistik, über ihren Job, etwas mit total
     alten Leuten, denen sie am Wochenende beim Pinkeln, Waschen und Haarekämmen half. Sie wohnte erst seit einem halben Jahr in
     Berlin, kam eigentlich aus Franken, was man nicht hörte; sie sprach erstklassiges Hochdeutsch, ließ lediglich die Konsonanten
     etwas weicher fließen.
    Irgendwann bekam ich kaum mehr mit, worüber wir uns unterhielten. Meine Blase platzte fast, aber ich traute mich wieder nicht,
     aufs Klo zu gehen, vor allem nicht gleichzeitig mit ihr, aber auch –
erst recht
– nicht, während sie mir gegenübersaß, mich mit ihren unglaublichen grünen Augen ansah und mit dem ganzen Gesicht lächelte,
     mit mir plauderte, als |51| wäre ich ihr ebenbürtig, und, vor allem,
zuhörte
, wenn ich etwas zu erzählen hatte, von dem ich bis dahin glaubte, es würde keine Sau auf dem Planeten interessieren. Liddy
     interessierte sich für
alles
. Das Tee-à-tête wurde langsam leer, der schußlige Besitzer sammelte Teekännchen und Malefiz-Bretter ein, klapperte mit übervollen
     Aschenbechern und raschelte mit den Zeitungen.
    »Es ist gleich elf«, sagte Liddy und sah mich an.
Auffordernd
? Keine Ahnung. Was die Leute nicht sagten, aber trotzdem meinten, das entzog sich noch immer weitgehend meiner Kenntnisnahme.
     Ich nickte nur.
    Wir zahlten, getrennt – ich kam nicht im Traum auf die Idee, für sie zu bezahlen, so was hatte ich noch nie getan, aber für
     Liddy schien das okay zu sein. Vielleicht fand sie es sogar cool, irgendwie. Dann standen wir draußen, mitten in Neukölln,
     laue Luft, mit einem ganz, ganz entfernten Hundekot-Kebab-Auspuffgas-Aroma, und ich scharrte nervös mit dem rechten Fuß. Normalerweise
     war ich jetzt zu Hause, in meiner Bude, Platten hören, Bücher lesen.
    »Wo wohnst du?« fragte Liddy und griff nach meiner Hand.

|52| 6. Tuff Enuff
1992
    »Hallo, Donald.« Eine Pause. Ich erkannte die Stimme nicht. Oder doch? »Hier ist deine
Mutter
.« Noch eine Pause, die ich auch brauchte, denn ich war irritiert. Verstört. »Es ist etwas geschehen. Bitte. Ruf mich an.
     Egal, zu welcher Zeit.« Dann die Telefonnummer, an die ich mich tatsächlich noch erinnerte, obwohl es so lange her war und
     ich fast nie zu Hause angerufen hatte, es gab nie einen Grund, ich war immer pünktlich da, wegen der Dresche, die es sonst
     gab, mit oder ohne Anruf. Der Piepton. Ende der Ansage.
     
    Ende einundneunzig war ich zum Marheinekeplatz gezogen, nettes Kreuzberg, gelebte Urbanität, viele freundliche Kneipen, ein
     paar Touristen, tolle, superhohe 4-Zimmer-Wohnung, gerade saniert, mit Blick auf den Platz – und riesigem Balkon. Ich hätte
     mir ein Haus kaufen können. Nur – wozu? Lindsey Cunningham wohnte in der Nähe, sprach jetzt sogar schon eine Art Deutsch,
     kannte wahrscheinlich jede Prostituierte der Stadt – und rannte immer noch im gleichen Outfit herum, sah auch immer noch wie
     ein Collegeboy aus. Doch ich zog nicht seinetwegen in diese Ecke. Es war einfach eine schöne Wohnung, einfach eine gute Gegend
     von Westberlin – den Ostteil betrachtete ich nicht wirklich als Bestandteil der Stadt, auch die Hörer waren für mich ganz
     andere Leute, was ja auch stimmte, irgendwie. Ich

Weitere Kostenlose Bücher