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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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das war völlig ausgeschlossen. Wir hatten zwar nie über Treue, über Fremdgehen (so ein bescheuerter
     Ausdruck!), über diese Dinge geredet. Aber die Konsequenz schien mir unausweichlich. Vor allem, wenn sie es
erfahren würde
… von dem Punker, von dem Taxifahrer, irgendwem. Es
mußte
einfach rauskommen.
    »Bist du mir treu?« fragte ich den Notausstieg, der schräg rechts vor mir lag. Ich wagte es nicht, Liddy anzusehen.
    Sie sagte nichts, aber sie ließ meine Hand los. Eine Weile blieb es still, so ein, zwei Minuten.
    »Na, dann«, sagte sie. Ich drehte mich langsam und vorsichtig zu ihr. In ihren Augen standen Tränen: »Raus mit der Sprache.«
     
    »Das gefällt mir nicht«, erklärte sie, als wir aus dem Bus stiegen, um in die U-Bahn zu wechseln. Wir blieben stehen. Liddy
     schüttelte den Kopf.
    »Ich finde es gut, daß du ehrlich bist.« Ihre leicht vibrierende Stimme trug eine andere Botschaft, die da lautete:
Was auch immer passiert, es wird anders sein, von jetzt an.
    Ich sagte nichts. Meine Beichte war umfassend ausgefallen. Jetzt fühlte ich mich hohl, elend, aber auch befreit – ganz der
     Sünder. Es lag in ihrer Hand, mein Schicksal. Damit war eine Kuh vom Eis – aber der Rest der Herde drohte immer noch einzubrechen.
    »Vielleicht solltest du nicht dabeisein, wenn ich Mama abhole.«
    Ein deutliches Knacken ging durch die Eisfläche, ein paar Rinder muhten scheu.
    »Ich will jetzt alleine sein, bitte«, sagte sie, und die Tränen kamen wieder. Ein dicker Riß zog sich vom Ufer auf die Mitte
     des Sees, die Kühe blökten ängstlich. Liddy küßte |64| mich auf die Wange. »Ich rufe dich morgen an.« Dann ging sie weg.
     
    Liddy rief am nächsten Tag nicht an, auch nicht am übernächsten. Nach fast fünfzig Stunden ohne Schlaf stand ich wie ein nasser
     Sack im Laden, ließ mich von Schulkindern beklauen und hörte pausenlos
Running On Empty: Now the seats are all empty …
und dann kam sie endlich. Sie lächelte, ihr Gesicht war müde, ihre Augen gerötet – ich schämte mich unendlich und war bereit,
     jeden Eid zu schwören, den man in Worte fassen konnte. Mit meinen einsneunzig kam ich mir hinter dem Schutzwall des
Sound-Fashion -Tresens
etwa so groß vor wie der peinliche, aber teure Zwerg im Vorgarten meiner Eltern.
    »Ich …«, begann ich, aber sie machte einen großen Schritt auf den Tresen zu und legte aus der Vorwärtsbewegung heraus die
     Hand auf den Mund.
    »Ich hab’ dich sehr lieb«, sagte sie leise. Ich mümmelte eine Antwort in ihre Hand, während sich ein leichtes Brennen in meinen
     Augen ankündigte, aber sie schüttelte den Kopf.
    »Und ich finde es sehr gut, daß du ehrlich warst.«
    Sie schwieg einen Moment, ihr Lächeln verschwamm ein bißchen, sie kämpfte auch mit den Tränen, offensichtlich.
    »Aber tu mir so was
bitte
nicht wieder an, ja?«
    Ich begann zu weinen und bedeckte ihre Handfläche mit Küssen.

|65| 8. Sisters Are Doing It For Themselves
1985
    Rudi starb Ende 1984 als einer der ersten spektakulären Fälle an der neuen Krankheit AIDS; ich führte den Laden schon eine
     ganze Weile zu diesem Zeitpunkt. Was er mitmachen mußte, war unglaublich: Krankenschwestern weigerten sich, die Infizierten
     anzufassen, keiner wußte so richtig, was abging, irre Methoden wurden ausprobiert, während Irre davon sprachen, daß das Jüngste
     Gericht hereingebrochen wäre, Gott sich zumindest die Schwulen vorgeknöpft hätte,
endlich
, wie viele sagten. Daß Rudi homosexuell war, hatte ich bis dahin überhaupt nicht bemerkt, mir fehlte allerdings auch die
     diesbezügliche Antenne – was ich mit Schwulen verband, war eine spätpubertäre Angst davor, gegen den eigenen Willen von einem
     Mann verführt zu werden – und möglicherweise Gefallen an der Sache zu finden. Er vermachte mir den Laden, ich schmiß den Klamotten-Teil
     raus, nannte das Ganze »Your Sound« und holte mir über eine Kleinanzeige – »Cooler Geschäftspartner mit Pop-Kenntnissen gesucht,
     Geld nicht nötig« – einen seltsam aussehenden Frühzwanziger-Freak namens Frank, der zwar auf
New Romantics
stand und Lederschlipse zu urkomischen Sakkos trug, deren Ärmel er hochkrempelte, der aber auch eine unglaubliche Menge über
     Musik wußte, mit Händlern umgehen konnte und wie ein Tier arbeitete. Wenn er nicht soff. Über Frank kam ich zum Saufen, spät,
     mit über zwanzig, und ich widmete mich dem neuen Hobby mit der angemessenen Aufmerksamkeit, nie jedoch tagsüber. Der Laden
     lief ziemlich

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