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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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sagte ich schulterzuckend. »Aber das hat’s vorher auch schon gegeben, wenn auch vielleicht nicht mit einem so schlechten
     Album drum herum. Und ich sage dir, daß das schlimmer werden wird. Irgendwann, so in zehn, fünfzehn Jahren werden sie uns
     nur noch mit dämlichen Coverversionen kommen.«
    »Mmh. Vielleicht. Wart mal ab, ich bin noch nicht fertig. Das anstehende Konzert sollte in einer Fünftausend-Leute-Halle stattfinden,
     die Hälfte der Karten war bereits verkauft. Ich nahm mir die Clocksheets vor und strich
Blind Mirrors
aus der Rotation, dafür setzte ich an jede vorgesehene Stelle einen anderen Titel von
Willing And Able
. Die DJs bekamen von mir Anweisung, dazu zu sagen, daß es sich um einen weiteren Titel von
PPP
handelt, vom Debütalbum der Band, und daß wir diese Titel spielen, um die Konzertbesucher vorab zu informieren. Weißt du,
sehr
viele Leute gehen in Konzerte von Bands, die sie nicht kennen, weil diese Bands gerade Hits haben.«
    |94| Jetzt lachte ich wieder. War mir selbst auch schon passiert.
    »Wir hielten das durch bis zum Konzert, obwohl die DJs echt sauer waren, daß sie diese Scheiße spielen mußten; es war
wirklich
Scheiße. Jedenfalls sind fast keine weiteren Karten für das Konzert verkauft worden. Viele Leute, die Karten hatten, wollten
     sie zurückgeben, Hunderte haben bei uns angerufen.
Wir
haben die Karten zurückgenommen. Die knapp tausend Leute, die bei dem Konzert waren, haben ziemliche Randale gemacht. Gut,
     es gab ein bißchen Streß im Nachgang, und die Plattenfirma war mehr als nur sauer auf uns.«
    »Kann ich mir vorstellen. Ich glaube, mich erinnern zu können, daß die Europatour von denen abgesagt wurde.«
    Jetzt lachte Lindsey Cunningham. »Gut möglich. Es hat sich natürlich rasend schnell herumgesprochen: Ein Sender in Philadelphia
     spielt das komplette Album der Hitgroup, und plötzlich geht keiner mehr in die Konzerte. Einszweifix war
Blind Mirrors
aus den Charts – obwohl es wirklich ein Supertitel war, toll produziert, nicht mal schlecht interpretiert. Letztendlich konnte
     die Band selbst auch wenig dafür; scheißschwer, an einen Plattenvertrag zu kommen. Na ja, wir haben die Verarsche ein bißchen
     transparenter gemacht.«
    Er lehnte sich vor, lächelte, schüttelte dabei ganz leicht den Kopf, ich schnappte mir eine Fluppe und dachte nach, sah ihn
     an. Ganz Radiomensch. Die Macht, die das Medium hatte, war für ihn völlig selbstverständlich.
    »Was hat das mit der Frage zu tun, warum man Hits spielen muß?«
    »Das ist ein Teufelskreis. Alle spielen Hits, und man meint, die Leute wollen nur Hits hören. Also spielt man auch Hits. Alle
hören
Hits, also meinen alle, man muß Hits hören. Nicht nur aktuelle. Die meisten Stationen spielen aktuelle Hits in der Heavy Rotation,
     Currents in einer etwas weniger heftigen, ein paar hundert Re-Currents und zusätzlich noch das, was sie Oldies nennen: Titel,
     die vor ein paar Jahren Hits waren. Hits, Hits, Hits. Die Leute kaufen die Sülze, rennen in die Konzerte und sind enttäuscht,
     weil die |95| Band nur eine gute Nummer hat oder weil der Titel völlig untypisch für die Combo ist. Auf allen Top-40-Stationen – und das
     werden bald die meisten sein – hört man den gleichen Kram. Wir verarschen die Hörer, die Plattenfirmen verarschen uns, und
     alle fühlen sich klasse.«
    »Und?«
    »John Mellencamp hat bisher neun Alben gemacht. Welche Titel kennst du von Mellencamp?«
    »Johnny Cougar? Mmh.
Jack And Dianne
, natürlich.
Hurts So Good. Scarecrow. Small Town
. Vielleicht noch drei oder vier andere.«
    »Meinst du, daß der Rest einfach nur Mist ist?«
    Ich schüttelte den Kopf: »Nein, natürlich nicht. Vielleicht auf den ersten zwei, drei Alben. Aber Mellencamp ist ein solider
     Musiker, ein echter Rocker, sehr konstant.«
    »Gut, sagen wir, auf den neun Alben sind neunzig Titel, davon zwei Dutzend nicht so gute. Bleiben fast siebzig Songs. Warum
     werden die nicht gespielt – jedenfalls von den meisten nicht?«
    »Weil die keiner kennt. Außer den Fans, natürlich.«
    »Bingo.« Er griente. »Warum kennt die keiner?«
    »Weil es keine Hits waren.«
    »Warum waren es keine Hits?«
    »Ein, maximal zwei Titel von jedem Album in verstärkter Rotation, dann war das Album nicht mehr aktuell, und schon kam das
     nächste. Die beiden Hits vom vorigen Album tauchten dann bei den
Currents
und
Re-Currents
auf.«
    »Genau. Denk mal darüber nach. Es gibt jede Menge gute Musik, aber wir lassen uns

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