Radio Nights
neunundzwanzig. Bin einfach gut dabei. Halte mich fit.«
»Wie?«
»Mit dem üblichen.« Er holte ein Päckchen Marlboro aus der Tasche, bestellte sich ein
Miller
und einen Jim Beam auf Eis.
»Ich verstehe«, sagte ich lächelnd.
Wir unterhielten uns ein bißchen über Boise, Idaho, die Stadt, in der wir uns getroffen hatten, weil er da zu tun hatte und
ich in Salt Lake City wohnte, quasi um die Ecke, eine Flugstunde entfernt: nichtssagend, arm an Höhepunkten, warm, sauber,
klinisch. Ich erfuhr, daß der Name
Boise
aus dem Indianischen stammte und irgendwas wie »grünes Tal mit Bäumen« bedeutete. Superinteressant.
»Laß uns über Musik reden, Radiomusik«, bat ich später, etwa beim dritten Jack. Das Footballspiel war vorbei, Cunningham hatte
auch einen Versuch unternommen, mir die Regeln zu erklären, aber das brachte nichts. Zehn Yards vor oder zurück, hohles Gebolze,
ab und zu ein
Touchdown
, dazwischen gähnende Langeweile. Noch schlimmer als Fußball. Obwohl ich das kaum für möglich gehalten hatte.
»Okay«, sagte Lindsey. Er grinste, zündete sich die fünfte oder sechste Marlboro an. »Erklär mir mal, warum man pausenlos
Hits im Radio spielen muß.«
Ich zog eine Augenbraue hoch und lächelte.
»Keine Ahnung«, sagte ich, um etwas Zeit zu gewinnen. »Vielleicht, weil man
muß
?« spekulierte ich ein paar Sekunden später.
Er nickte. »Das kommt der Sache schon
ziemlich
nahe. Darf ich dir eine kleine Geschichte erzählen?«
|92| Ich hob meinen Jack zum Mund und sagte, kurz bevor er ankam: »Klar, immer los.«
»Ich habe in Phillie gearbeitet, für eine ziemlich große Rockstation, war etwa drei Monate dabei, sah mich aber bereits nach
was anderem um. Wir hatten
Blind Mirrors
in der Heavy-Rotation. Es lief mindestens achtmal am Tag.«
Ich grübelte kurz und nickte dann: »Die
Perverted Park Pissers
. Irgendeine Punkcombo aus Massachusetts. Ein One-Hit-Wonder, vor zwei oder drei Jahren. Nie wieder was von denen gehört.«
»Kein Wunder. Aber laß mich erzählen. Ich sah mir also die
Clocksheets
für die Sendungen des Tagesprogramms an, nur so, aus Spaß. Ich dachte: ›Hey,
Blind Mirrors
, achtmal in der Hauptsendezeit zwischen sechs Uhr morgens und acht Uhr abends. Cool. Muß wirklich eine Superband sein, wenn
sie das verdient.‹ Es war nicht mein Vorschlag gewesen. Der Titel war bei allen anderen Stationen ebenfalls auf den Playlists:
Die ausgekoppelte Single aus dem Debütalbum, jede Menge Vorschußlorbeeren von der eigenen Plattenfirma. In drei Wochen sollte
ein Konzert der
PPP
in Philadelphia sein.
Blind Mirrors
war in den Top Twenty, landesweit. Ich ließ mir von Willie, meinem Musikredakteur, das Album bringen.
Willing And Able
. Oha. Legte es auf und las ein bißchen, was das Cover so hergab.«
»Und?« Ich winkte nach weiteren Drinks.
»Auf dem Album waren neun Stücke, davon acht, die von den beiden PPP-Frontleuten Jonesy und Pierceman geschrieben worden waren.
Produziert von einem namenlosen Gesellen.
Blind Mirrors
aber war interessanterweise von jemandem, dessen Name irgendwie italienisch klang. Marcello Undsoweiter. Ich ließ Willie ein
bißchen stöbern, während ich weiter lauschte. Das Album war der letzte Dreck. Gut, es war Punk. Aber
Blind Mirrors
stach daraus hervor, als würde das Empire State Building in einem Slum von Puerto Rico stehen. Außerdem war es von
Bill Spearding
produziert worden, als einziges Stück auf der Platte.«
|93| Ich lachte. Spearding war ein Hit-Macher, was der anfaßte, wurde einfach zu Gold.
»Es geht noch weiter. Eine halbe Stunde später kam Willie mit den italienischen Charts des letzten Jahres, die hatte er sich
von
Billboard
aus New York per Telex schicken lassen. Marcello Undsoweiter hatte einen Nummer-eins-Hit in Italien, vier Wochen lang, er
hieß
Specchi Ciechi
. Kannst du dir vorstellen, was das auf englisch heißt?«
»Natürlich. Blinde Spiegel, blind mirrors.«
»Genau. Die Plattenfirma hatte sich einen Titel geschnappt, der außerhalb von Italien kein Erfolg werden konnte, weil er bescheuert
hieß, in italienisch war und außerdem noch schlecht produziert. Na ja, italienische Produktionen klingen immer ein bißchen
…
verwaschen
. Jedenfalls hatte der Song Potential. Klasse, dachte sich der Plattenmensch, griff wahllos nach einem Demotape, sagte zu
dem Band beziehungsweise
der
Band: Du wirst jetzt erfolgreich. So sind die
Perverted Park Pissers
zu ihrem Smash-Hit gekommen.«
»Na gut«,
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