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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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vorschreiben, was wir für gut zu halten
     haben.
Das
spielen wir dann so oft, daß man beim Hören die Krätze bekommt, aber keine Station will die Titel als erste aus der Rotation
     nehmen. Bei One-Hit-Wondern kommt häufig noch ein Folgetitel, der dem ersten fast gleicht, und auch den spielen wir noch mal
     bis zum Erbrechen, obwohl die Leute eigentlich schon die Schnauze voll haben. Alles Kacke.«
    |96| Ich nickte.
    »Da ist was Wahres dran.«
    »Eben. Und, laß es dir gesagt sein: Das wird noch schlimmer.«
    Ich sah ihn an, den Collegeboy, von dem gesagt wurde, daß er bisher jede Station zum Erfolg geführt hatte. Die Headhunter
     der Networks saßen ihm im Nacken, aber er wollte frei bleiben. Radio war sein ein und alles, das spürte ich deutlich.
    »Weißt du«, sagte er, »eine ganz wichtige Tatsache wird von vielen Radioleuten völlig vergessen: Wir machen das für die Menschen
     draußen, nicht für uns, oder für die Plattenfirmen oder die Bands. Die Leute, die Radio hören, sind unsere Kunden:
Die
kaufen unser Produkt. Keine Werbeagentur, kein Promoter von EMI oder CBS. Wenn wir die Leute am Radio verarschen, wenn wir
     uns hier einen runterholen oder den Plattenfirmen in die Ärsche kriechen, wird sich das langfristig nicht auszahlen. Wir müssen
     unser Publikum respektieren, und wir müssen uns der Verantwortung bewußt sein, bewußt werden. Dann kann Radio auch wieder
     richtig gut werden. Und, sorry, das ist es in den meisten Fällen nämlich einfach überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Auch
     etwas, das noch schlimmer werden wird, fürchte ich.«

|97| 12. Hungry Heart
1992
    Am Nachmittag erwachte ich, saß immer noch auf dem Sofa, hatte immer noch das Telefon auf den Knien, weshalb mir auch sofort
     wieder einfiel, was passiert war. Was mir
erzählt
worden war. Ich glotzte das Ding an, wunderte mich einen Moment lang darüber, daß meine Mutter nicht noch mal angerufen hatte
     – und dann kam es. Faustschläge gegen den Kopf und in die Magengrube. Mir wurde übel, ich begann, zu zittern, und dann, zu
     weinen. Veronika war tot. Veronika. Schwesterchen mit den schmutzigen Strümpfen, so sah ich sie sofort vor mir. Tot. Weg.
     Auf immer. Ich begriff nicht wirklich, und andererseits doch. Es war seltsam. Das Telefon klingelte, drei, vier, fünf Mal.
     Vielleicht doch noch mal meine Mutter. Aber es war nur Lindsey, der mit mir essen gehen wollte, ich wimmelte ihn ab. Danach
     fühlte ich mich leer, auf merkwürdige Art hilflos: Ich verspürte den Wunsch, mit jemandem zu sprechen, aber Veronika und ich
     hatten keine gemeinsamen Bekannten, und ich nur wenige Freunde, von denen keiner Veronika kannte, nicht einmal Frank, von
     dem ich ohnehin seit Monaten nichts mehr gehört hatte: Er hatte das
Your Sound
noch ein paar Jahre weitergeführt und sich dann irgendwo in ein Studio eingekauft, in Duisburg, Düsseldorf, diese Ecke. Mit
     Miles hätte ich darüber sprechen können. Mit meinem Stammkneipenwirt. Aber der hatte jetzt anderes im Kopf, außerdem hatte
     ich seine Privatnummer nicht. War ja auch ein blöder Gedanke.
    Ich ging duschen, stand weinend in der Wanne, während das warme Wasser an mir herablief, und konnte meine Gedanken und Gefühle
     überhaupt nicht sortieren. Liddy fiel mir ein, Liddy, von der ich nicht wußte, wo sie jetzt war. Wie unglaublich unheimlich
     gerne hätte ich in diesem Moment mit ihr gesprochen, egal, ob sie jetzt Mann, Haus und Blagen hatte, einfach |98| nur reden, wie früher.
Wildkirschtee
. Ich sehnte mich nach Wildkirschtee mit Liddy. Nach meiner Jugend, meiner Kindheit, meiner Veronika. Ich war traurig. Verängstigt.
     Fühlte mich schuldig. Ich hätte mich um sie kümmern können,
müssen
, ich, der Radiostar. Aber sie wollte nicht. Meine zaghaften Versuche hatte sie abgewiesen. »Das ist
mein Leben
, Donny, und ich kriege es in den Griff, alleine, so oder so. Kümmer du dich um deinen Krempel.« Wie eine hellbraun konservierte
     Leiche hatte sie da ausgesehen, ausgezehrt, fahrig, unwirklich, als würde ihre Gesichtshaut aus Plastik bestehen.
    Endlich kroch ich unter der Dusche hervor, kochte mir Kaffee, schaltete aus Routine
PowerRock
ein, das machte ich meistens sogar gleich als allererstes. Simon Jones, unser englischer Import, Deutsch als zweite Muttersprache,
     eine feine Stimme, tolle Modulation, weibliche Fans bis zum Getno, die dann ziemlich überrascht waren, wenn sie das häßliche
     Bürschlein in natura sahen. Er würde in einem Monat zurückgehen,

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