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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Tülle der Teekanne gesprungen
     war. Sie verschwand, um die Kanne zu holen. Ich hoffte, die Unterhaltung wäre beendet, ging in den Flur, zu meiner Jacke,
     zog das neue
Billboard
aus der Seitentasche. Wir kamen gleichzeitig am Tisch an.
    »Was machst du?« fragte sie, den Blick auf das Magazin geheftet.
    »Vielleicht ein bißchen lesen?«
    |88| »Spinnst du?«
    »Warum?«
    »Wir reden doch miteinander. Da kannst du nicht einfach anfangen, Zeitung zu lesen.«
    »Das ist keine
Zeitung
. Das ist das
Billboard Magazine

    »Scheißegal!« Sie knallte die heiße Kanne auf den Couchtisch, ein bißchen heißes Wasser schwappte heraus, verdampfte aber
     sofort auf der kühlen Rauchglasplatte. Ich beobachtete die Kondensationsflecken, die sich, seltsame Konturen annehmend, rasch
     verflüchtigten.
    »Verdammt noch mal. Ich will dich kennenlernen, etwas über dich erfahren, dich verstehen, hinter all den Radioquatsch blicken,
     deine blöden Alben, die ranzigen Hosen und das immergleiche T-Shirt – und du fängst an, zu lesen? Ist dir noch ganz wohl?«
    Ist dir noch ganz wohl?
Ich unterdrückte ein Grinsen, die Formulierung war wirklich hanebüchen. Radioquatsch? Wer rotierte hier nicht ganz sauber?
     Doch wohl nicht ich.
    »Na gut«, sagte ich trotzdem, ein bißchen zu herablassend vielleicht, und legte das Magazin neben mich auf die Couch, achtete
     aber darauf, daß die Seite nicht umblätterte. Erwartungsvoll sah ich Liddy an. Sie war tiefrot im Gesicht, was sich gut machte
     mit ihren grünen Augen.
    »Du solltest gehen«, erklärte sie, mit leicht zittriger Stimme. Und, nach einer kurzen Pause, sichtlich bemüht: »Geh, bitte.«
    Ich war baff. Was hatten unsere Scheiß-Eltern mit
uns
zu tun? Was sollte das Gerede über Familie, über Nächstenliebe, Respekt und all diesen Krempel? Was wollte Liddy von mir?
     Warum war ihr das so wichtig? Ich verstand überhaupt nichts mehr. Wollte nicht in ihren Kopf, daß ich über meine verdammten
     Eltern einfach nicht reden konnte, daß es da nichts zu sagen gab, daß ich einfach nur ich selbst war, so, wie ich dasaß, mit
     meinen ranzigen Hosen und dem verfluchten
Billboard Magazine
?
Das bin doch ich
, wollte ich sagen, aber Liddy kam mir zuvor.
    |89| »Bitte«, sagte sie, drehte sich um und ging zur Kochnische. Ihre Schultern zuckten leicht, möglicherweise weinte sie. Ich
     schnappte mir meine Zeitschrift und zog von dannen. Fühlte mich hilflos, ein bißchen verloren, denn ich verstand ums Verrecken
     nicht, was zur Hölle ich schon wieder falsch gemacht haben sollte.

|90| 11. R.O.C.K. In The USA
1986
    Das
Barney’s
war eine typische Bar, wie es sie in allen amerikanischen Städten massenweise gibt: Langer Holztresen, Fernseher in jeder
     Ecke, eine Menge Neonreklamen, riesengroße Zapfhähne, alles sauber, adrett, nett gemacht. Gemütlichkeit
the American way.
Ich hockte vor einem großen
Bud
und einem riesigen Teller mit
spicy chicken wings
(so was verstehen die Amis unter »Snack«), nuckelte abwechselnd an meinen fettigen Fingern, am schaumlosen Bier und an den
     superleckeren Hühnerflügeln. Zwischendrin verfolgte ich irgendein Footballspiel. Oder versuchte es zumindest. Die Regeln waren
     mir so transparent wie eine Tresortür, die wenigen Spielzüge im Wechsel mit den langen Werbepausen erweckten den Eindruck,
     sie dienten dazu, die Zeit zwischen den Werbeblöcken mäßig spannend zu überbrücken.
    »Du mußt Kunze sein«, sagte jemand, der neben mir Platz nahm – auf englisch. Er sprach das
Kunze
mit weichem Z und mit kurzem U:
Kunnße
. Hatte meinen Namen also bisher nur gelesen, nie gehört, woher auch. Ich drehte mich zur Seite. Ein Collegeboy. Kräftig,
     kantiges Gesicht, breites Grinsen, kurze, blonde Haare, Collegejacke, T-Shirt von irgendeiner Radiostation (es war nicht vollständig
     zu lesen), Sneakers. Zweiundzwanzig, vielleicht dreiundzwanzig. Das sollte der beste
Programmer
im Nordwesten der Staaten sein?
    »Du bist Lindsey?«
    Er nickte. Der Barmann stellte mein zweites Bier hin, daneben einen Jack Daniel’s, der im Eis schwamm – ich hatte es aufgegeben,
     amerikanischen Barmännern klarzumachen, daß ich nur ein oder zwei Eiswürfel wollte, dafür war das Glas fast randvoll.
    »Lindsey Cunningham.«
    |91| »Lindsey ist ein Frauenname, oder?«
    Er feixte. »Wie man’s nimmt.
Ich
bin ein Kerl.«
    Ich musterte ihn, sagte nichts.
    »Du hältst mich für zu jung, oder? Was denkst du? Einundzwanzig, zweiundzwanzig?«
    Ich nickte.
    »Ich bin

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