Radio Nights
seine Kohle
verpulverte, während das Finanzamt versuchte, sich den Rest zu holen. Der Typ war ein bißchen schmierig, aber auf den ersten
Blick nicht gänzlich unsympathisch, und er ging höflich auf die Euphorie ein, mit der mich Kranitz vorstellte, während er
offensichtlich – und verständlicherweise – nicht die leiseste Ahnung hatte, was so besonders an mir war. Kurz nach Mitternacht
wechselten wir ins
Cellar
, die Disco des FunFun-Trios, die ebenso brechend voll war. Liddy tanzte, während ich in einer ruhigen Ecke mit Charlie und
dem Wuschelkopf am Tresen saß und wir unsere unähnlichen Radioerfahrungen austauschten. In einer Gesprächspause sah ich Liddy
beim Tanzen zu, und da gab es doch einen kleinen Stich ins Herzlein, als mir der letzte Abend mit ihr einfiel, damals, vor
Äonen, die Nacht, in der sie sich besoffen hatte und nach der wir uns trennten – da hatte ich ihr auch beim Tanzen zugesehen.
Ich schüttelte den Kopf und unterdrückte eine merkwürdige Aufwallung, dann konzentrierte ich mich wieder auf mein Gegenüber.
»Du kannst morgen machen, was du willst«, sagte Charlie, der für das Musikprogramm von
FunFun
verantwortlich zeichnete – ich sparte mir die Kommentare. Kranitz war ein Mix aus Programmchef, Personalchef und ganz nebenbei
noch für die Werbeakquise zuständig, der blonde Hansi fuhr eine Wochenendshow und kümmerte sich hauptsächlich um die Gastronomie,
führte außerdem die Bücher, produzierte ein bißchen. Sie hatten mit dem Projekt angefangen, ohne die leiseste Ahnung zu haben,
waren von einem Studioausstatter abgezockt worden, von mehreren Produktionsstudios und fast von einer landesweiten Kette,
die sie recht bald |170| billig einzukaufen versucht hatte. Wenn man das alles berücksichtigte, war der Erfolg des Senders grandios, es war erstaunlich,
daß sie das
erste Halbjahr
überstanden hatten. Sie wußten, daß sie das in erster Linie ihrer Beliebtheit zu verdanken hatten, und der Brauerei, und auch
Sedler, der sogar die örtliche CSU auf
FunFun -Kurs
getrimmt hatte.
Bevor wir uns trennten, weil die beiden in die dritte Kneipe wechselten, ich aber mit Liddy langsam nach Hause wollte, sagte
ich zu Charlie: »Wir treffen uns um halb zehn in der Station.« Er sah auf die Uhr, es war kurz vor fünf, nickte dann. Ich
würde sowieso nicht schlafen können, warum sollten sich da die anderen ausruhen?
FunFun
hatte im Keller ein kleines Musikproduktionsstudio. Hansi hatte mal in einer Band gespielt, er produzierte Spots und Jingles
für die Station und alles, was an Werbung gebraucht wurde, über die Spots hinaus, die von den Agenturen geliefert wurden.
Wir gingen zuerst in den Keller, bastelten einen Trailer für die Weihnachtsshow, einzweifix, nur das Nötigste – ich hörte
zum ersten Mal seit Monaten meine eigene Stimme
pur
über Lautsprecher, und es klang gut, nur anfangs etwas zaghaft. Wir kündigten mich nicht an, nur eben eine Heiligabendsendung,
die alles Dagewesene in den Schatten stellen würde. Das Band wurde sofort ins Studio gebracht, um halb zwölf lief der Trailer
zum erstenmal. Dann tobte ich mit Charlie durch die Archive. Also, Archive. Na ja. Das meiste war aktueller Krempel und nicht
mehr ganz aktueller Krempel. Ein Haufen Standards, was man so hat. Oldies, alles, was im Rockbereich bekannt war, irgendwann
einmal, viele Singles, wenig Alben. Ausschließlich CDs. Es gab nicht einen einzigen Plattenspieler bei
FunFun
. Ich schnappte mir eine grüne Plastikbox und sammelte alles ein, das mir halbwegs passend schien. Vier oder fünf Sampler
mit rockigen, wenigstens poppigen Weihnachtsliedern, hauptsächlich aber andere Sachen. Als Charlie sah, welche Art von Musik
ich auswählte, half er mir. Singer-Songwriter, ruhigerer |171| Rock, ein paar Popclassics, solide, hochqualitative Mucke, die keinen stören würde am Heiligabend, aber genug Dynamik hatte,
um es ein wenig brummen zu lassen. Ich hatte nicht die leiseste Idee, wie das Programm genau aussehen sollte. Ein paar Reporter
mit Mobiltelefonen wären mir recht gewesen. Eine Live-Schaltung ins
Cellar
, das geöffnet hätte. »Nächstes Mal«, sagte Charlie grinsend. Er war aufgeregt, aber lange nicht so wie ich.
Um zwei machte ich einen Abstecher zu Liddy, wir tranken Kaffee, aßen leckeren selbstgebackenen Kuchen, und sie hatte Tränen
in den Augen, als sie ihr Geschenk auspackte. Ich bekam
I’m Alive
von Jackson Browne, und ich starrte das
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