Radio Nights
lief glücklicherweise nicht das aktuelle
FunFun
-Programm. Liddy zog mich durch die dichte Menge zum Tresen, begrüßte einfach jede und jeden, umarmte, küßte, winkte. Der
Wuschelkopf saß am Tresen und redete mit einem dicken Typen etwa in seinem Alter, Glatze, Schweißperlen auf der Kopfhaut,
der Dicke nickte die ganze Zeit über, während er offensichtlich angestrengt auf das lauschte, was Kranitz zu erzählen hatte,
und hielt sich ein Weißbierglas schräggeneigt vor das Gesicht: Er wollte eigentlich trinken, kam aber vor lauter Nickerei
nicht dazu.
|167| »Das ist Charlie«, brüllte Liddy. »Michael kennst du ja schon.«
Der Wuschelkopf sprang vom Hocker, schüttelte mir beidhändig Arm und Ellenbogen, beugte sich dann zu dem Dicken und sagte
etwas in dessen Ohr. Charlie rutschte ebenfalls vom Hocker und drückte mir die Hand, sein Gesicht glühte. Liddy winkte zu
dem jungen Mann hinter dem Tresen, ein kurzer Mensch mit fröhlichem Gesicht, blonden Stoppelhaaren, etwas jünger als die beiden
anderen, schätzte ich. »Das ist Hansi, der dritte im Bunde«, erklärte sie mir, gegen den Lärm ankämpfend.
»Und? Hast du’s dir überlegt?« schrie Kranitz.
»Nee. Aber ich denke drüber nach.«
Dachte ich wirklich darüber nach, Radio zu machen? Nee, oder?
Ich dachte darüber nach, ob ich darüber nachdachte, während ich dunkles
Marbrunner Domhof Bräu
trank, eine Spezialität mit fast schwarzem Schaum, für die Marbrunn angeblich ziemlich bekannt war – immerhin schmeckte es.
Liddy schwatzte mit dem dicken Charlie und dem agilen Wuschelkopf, ich beobachtete die Leute, Anfang Zwanzig bis Ende Dreißig,
freundliches Publikum. Aus Heavy Metal wurde jetzt Clubmusic, etwas ruhiger, etwas netter. Ich dachte an das
Irish Heaven
, an die Kneipen in Berlin. Trotz der enormen Lautstärke war hier so etwas wie Wohnzimmeratmosphäre. Die Leute fühlten sich
wohl, sie kannten sich allesamt, es gab keinen Baggerstreß und kein pfauenmäßiges Radschlagen, nur Leute, vor denen so was
lächerlich gewirkt hätte.
»Wärst du schon wieder soweit, eine Sendung zu machen?« fragte Liddy irgendwann, sie hatte mich zur Seite genommen.
»Ich weiß nicht.« Ich wußte es wirklich nicht. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich fühlen würde, auf dem Ledersessel im gläsernen
Studio, mit den
AKG
-Headphones, |168| die
Penny & Giles
-Fader bedienend, in ein
Schoeps -Mikro
schwatzend. Wie gut ich mich an die Details erinnerte, dabei hatte ich mir das Studio überhaupt nicht genau angesehen. Oder
doch?
»Vielleicht solltest du es einfach tun. Oder willst du nie wieder Radio machen?«
»Ich habe echt nicht die leiseste Ahnung.«
Der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung war nicht meßbar.
Charlie stand neben uns, ganz plötzlich.
»Wir wissen noch nicht, was morgen nachmittag passieren soll. Unser Jockel ist ausgefallen, grippaler Infekt. Keiner will
die Heiligabendschicht übernehmen. Notfalls muß ich das selbst machen.« Er verzog das Gesicht.
»Wie lange?« fragte ich, gegen meinen Willen, vielleicht.
»Na ja.« Er druckste herum. »Ab vier, nachmittags.«
»Bis?«
»Open End. Mitternacht, vier Uhr morgens. Wir wollten eigentlich um zwölf auf ein Mantelprogramm umschalten. Aber das muß
nicht sein.«
Eigentlich wollte ich sagen: Wer sollte auch so was Bescheuertes tun, auf ein Mantelprogramm umzuschalten, wenn man einen
eigenen Sender hat? Statt dessen bemerkte ich, daß ich fiebrig wurde. Zu zittern begann.
Radio machen
. In ein paar Stunden. Freie Hand. Ich kippte mein
Marbrunner Dunkel
, versuchte, meine Erregung zu überspielen, aber Liddy spürte es, nahm meine linke Hand, so daß kein anderer das sehen konnte,
und drückte sie. Die Geste machte mich schlicht und einfach glücklich – und gab mir die Sicherheit, die ich brauchte, um mich
zu entscheiden.
»Warum eigentlich nicht?« fragte ich in die Runde, eine rhetorische Frage, während sich Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten.
Kranitz, der Wuschelkopf, wurde dunkelrot im Gesicht und grinste breit.
»Coo-ell.
Don FM
Kunze bei
FunFun Radio
. Das wird ein denkwürdiger Tag.«
|169| Erst mal wurde es eine denkwürdige Nacht, in der ich ein halbes Dutzend
Marbrunner Dunkel
kippte, ohne besoffen zu werden, und ganz nebenbei das örtliche Who-is-who studierte. Selbst Sedler, der Bauunternehmer, tauchte
später auf, gutgelaunt, ein Endfünfziger, dem es nicht allzuviel auszumachen schien, daß ein erfolgloser Sender
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