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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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stand grinsend vor dem Studiofenster, war überglücklich, Liddy kam rein, als ich den nächsten Titel spielte, und sagte: »Das
     ist das erste Mal, daß ich dich im Radio höre, weißt du das?«
    Ich nickte, war aber von der Stimmung, die ich selbst erzeugt hatte, von der Situation, von einfach
allem
in diesem Moment so gerührt, daß ich nicht sprechen konnte, dafür kullerten mir ein paar dicke Tränen die Backen herunter.
    »Du machst das richtig gut«, sagte sie, streichelte meine Schulter. »Richtig gut«, wiederholte sie, nickte dabei. Ich startete
     den nächsten Titel, seit Stunden zum ersten Mal, ohne zwischendrin was zu sagen. Ich hatte mich lange nicht mehr so gut gefühlt.
     Ich dachte an die kleine Station in Omaha, in der Lindsey gearbeitet hatte, bevor ich ihn an Vögler verschachert hatte, ich
     dachte an die Hausfrau im Studio, die bescheidene Ausstattung. Irgendwie war das hier ähnlich. Die Großstadteindrücke waren
     so fern, radiomäßig |174| war Marbrunn tiefste Provinz. Und das hatte zur Folge, daß dem Ganzen hier eine völlig andere Bedeutung zukam. Es gab zwar
     keine Anonymität. Zum Austausch steckte man in Null Komma nix in einer ziemlich persönlichen Sache. Davon abgesehen ging es
     hier, jetzt lange nicht nur um Radio.
     
    Ich sendete bis um fünf Uhr morgens, dreizehn Stunden am Stück, war jedoch kein bißchen müde, als der Morgenmann eintraf und
     mich ablöste. Der Anruferstrom war nicht abgerissen. Ein paar Leute saßen noch immer im Studio. Kranitz kam mit seiner Freundin,
     die auch einen Wuschelkopf und eine eckige Brille hatte. Liddy kam ebenfalls, wirkte verschlafen, und wir gingen alle zwei
     Querstraßen weiter ins
Cellar
, um ein bißchen Weihnachten zu feiern.

|175| 2. All Cried Out Dezember
1995
    Die Resonanz auf die Weihnachtssendung war ziemlich gut, vorsichtig gesagt. Es gab zwar keine Quoten zum Durchsehen am nächsten
     Tag – die Marktanteilserhebungen kamen Wochen, Monate später und beim Radio niemals für einzelne Sendungen, das konnte sich
     keine Sau leisten, lohnte sich auch nicht, hatte überhaupt keinen Sinn – das höchste der Gefühle waren Tageszeiterhebungen
     über die Woche.
    Aber es gab Reaktionen. Der Morgenmann aus München kämpfte noch bis zum Ende seiner Sendung mit Anrufen, die eigentlich für
     mich bestimmt waren.
    Ich genoß das Gefühl, das der Job bei mir hinterlassen hatte, die Stimmung, in die ich mich hatte hineinreißen lassen, ganz
     untypisch; die Hörer waren mir wirklich und nah vorgekommen, so wie niemals zuvor. Selbst wenn ich gerade mit niemandem sprach,
     sondern einfach ins Mikro quatschte, fühlte ich etwas wie einen neuen Sinn. Ich kommunizierte mit den Hörern. So hatte ich
     mir das immer gewünscht, aber es war nicht immer gelungen.
    Außerdem tat die fast schon klischeehaft freundschaftliche Stimmung im Ort ihr übriges. Bei allen orkanartigen Erfolgen, die
PowerRock
gefeiert hatte, war das hier eine ganz andere Nummer und auf seltsame Art besser. Mir war allerdings gleichzeitig bewußt,
     daß die Situation in mehrerlei Hinsicht singulär gewesen war, ich hatte Glück gehabt, auch. Ach, scheiße, außerdem war Weihnachten.
     
    In den nächsten Tagen spazierte ich viel durch die Gegend, hockte mich in Cafés und Kneipen, las, beobachtete, hörte zu, wurde
     von Leuten gegrüßt und grüßte zurück. Abends, wenn Liddy von ihrem Job beim
Anzeiger
kam, aßen wir zusammen, redeten ein bißchen, umschifften heikle Themen. |176| Wir näherten uns langsam an, auf rein platonische Art, wie ich meinte, was okay war, wie ich zu meinen meinte. Ich rätselte,
     was aus der Situation werden würde, was in Liddy vorging, hatte aber nicht die Traute, einfach zu fragen – mich selbst auch
     nicht. Sie kam mir so groß vor, so sicher, und die Situation, in der sie sich hier befand, schien mir unantastbar.
    Nachts hockten wir im
Brückenkopf
, gingen ab und zu ins
Cellar
, trafen pausenlos die gleichen Leute und natürlich die Jungs von
FunFun
. Silvester wurde selbstverständlich in der Disco gefeiert, die Karten waren seit Wochen ausverkauft. Es war eine coole, ziemlich
     lustige Party. Danach kehrte Normalität ein, was hieß, daß wir nur jeden zweiten Tag abends einen trinken gingen und ich ein
     bißchen mehr Zeit alleine verbrachte, weil sich Liddy häufiger mit Freundinnen traf, zu Auswärtsterminen fuhr undsoweiter.
     Das neue Jahr hatte angefangen. Noch nie in meinem Leben hatte ich Vorsätze gefaßt für ein

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