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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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bist der beste Radio-DJ in Deutschland. Ehrlich. Ich bin manchmal deinetwegen nachts nach
     Berlin gefahren. Oder in die Richtung. So weit, bis ich
PowerRock
empfangen konnte.«
    »Ach, Quatsch.«
    »Doch.«
    Die Frau kam aus dem Studio, unterbrach uns, und ich nutzte die Gelegenheit, um mich grußlos aus dem Staub zu machen.
     
    In einem Geschenkeladen kaufte ich so ein hutzliges Teeservice aus Ton, dazu eine Großpackung Wildkirschtee, ließ es gleich
     weihnachtsmäßig verpacken. Dann hockte ich mich in ein kleines Restaurant, blätterte im
Marbrunner Anzeiger
, futterte Schweinebraten mit Knödeln, trank Mineralwasser. Michael Kranitz hieß der Wuschelkopf, kein Titel. Die Visitenkarte
     hatte den gleichen amateurhaften Touch wie das T-Shirt. Vermutlich hatte ein Kumpel von einem Kumpel diese Sachen entwickelt.
     Jedenfalls keine Werbeagentur. Als ich zahlte, steckte ich die Visitenkarte in mein Portemonnaie. Dann stapfte ich in Liddys
     Wohnung zurück. Weil sie noch nicht da war, kochte ich mir grünen Tee und lauschte
FunFun Radio
. Das war lustig, aber auch schrecklich. Gutwillig hätte man von Lokalkolorit reden können. Der Moderator |165| kämpfte mit der deutschen Sprache, hatte darüber hinaus technische Schwierigkeiten. Das Musikprogramm war übelster Mainstream.
     Es paßte überhaupt nicht zum Geschwätz zwischen den Titeln, und es war nicht sehr stimmig, vorsichtig gesagt. Musikfarbe?
     Buntschillernd. Gestreift und kariert. Dazwischen Amateurfunker.
FunFun Radio
war wirklich funny, aber ich konnte mir kaum vorstellen, wie die gegen die heftige Konkurrenz ankamen.
     
    Das erfuhr ich am Abend von Liddy. Kranitz und zwei Kumpels waren die kulturellen Fixpunkte Marbrunns: Ihnen gehörte die einzig
     funktionierende Disco am Ort, und außerdem die beiden Kneipen, in denen das Leben tobte – seit fast zehn Jahren. Aus einer
     Bierlaune heraus hatten sich die drei für eine lokale Frequenz beworben – und sie bekommen, wie die Jungfrau undsoweiter.
     Ein örtlicher Bauunternehmer steuerte etwas Kapital bei, saß auf einem Drittel der Anteile, den Rest besicherten die Jungs
     über ihre Kneipen. Die
FunFun -Crew
bestand zu neunundneunzig Prozent aus Amateuren, einen Münchener Discjockey hatten sie eingekauft, immerhin für das Morgenprogramm.
     Der Sender stand kurz vor der Pleite, und von der zweiten Frequenz hing das Überleben ab. Oder sie hofften zumindest, überleben
     zu können, wenn sie die Frequenz bekämen. Selbst der Hauptsponsor,
Marbrunner Domhof Bräu
, dachte öffentlich darüber nach, die Werbung zu reduzieren – daß der Sender überhaupt noch existierte, war der Tatsache zu
     verdanken, daß einfach jeder im Ort die drei Jungs kannte und daß sie unglaublich beliebt waren. Aber die Hörerzahlen waren
     rückläufig; die Loyalität bröckelte. Da der Bauunternehmer momentan auch noch den Fiskus am Hacken hatte, schätzte man die
     Überlebenschancen gemeinhin gering ein. Liddy meinte, der Kollaps stünde unmittelbar bevor.
     
    Sie erzählte das und beobachtete mich dabei, erwähnte ganz nebenbei, daß sie mal für ein paar Wochen mit Kranitz, dem |166| Wuschelkopf, zusammengewesen war, was mich nicht störte, wie ich zu erkennen meinte, nur ein bißchen verwunderte. Das allerdings
     lag an der Fehleinschätzung, der viele erliegen: Man ist geneigt, zu glauben, daß Leute immer den gleichen Typ Partner wählen,
     und das ist ein dramatischer Trugschluß. Daß es bei
einem selbst
ja auch nicht so ist, scheinen die wenigsten zu merken.
    Während ich Liddy ansah, grübelte ich über meine Gefühle. Eigentlich fühlte ich überhaupt nichts, war innerlich noch immer
     fast völlig leer. Aber der Ort, der Ortswechsel hatte eine angenehme Distanz geschaffen. Schon am ersten Abend kam es mir
     vor, als sei ich bereits eine ganze Weile hier. Und ansonsten freute ich mich einfach, daß da jemand war, der an mich dachte,
     dem ich wichtig war oder wenigstens irgendwann mal so wichtig gewesen war, daß es jetzt noch etwas bedeutete. Jedenfalls hielt
     ich das für einen guten Standpunkt.
    Liddy teilte mit, daß wir am späteren Abend in den
Brückenkopf
gehen würden, die Szenekneipe, die Kranitz und seinen Kumpels gehörte, direkt an der Brücke über die Mar.
     
    Der Laden war klein, laut, supergemütlich und brechend voll. Ein Eckgebäude, Altstadt, die Kneipe im Erdgeschoß und im ersten
     Stock, Schwermetall als Hintergrundmusik, obwohl man von
Hintergrund
kaum reden konnte, jedenfalls

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