Radio Nights
kam mir alles, was mit Radio zu tun hat, so irre weit weg
vor;
ich
hatte nichts mehr damit zu tun. War jetzt nur noch ein Hörer. Nicht einmal das. Ich war ein Hörer auf Urlaub. Und kein
Radiomann
mehr.
|162| »Mann, du mußt doch frieren. Stehst jetzt schon fast eine halbe Stunde hier«, sagte plötzlich jemand zu mir. Ein etwas wirr
aussehender Typ, auch Mitte Dreißig oder so, ein Wuschelkopf mit einer schmalen, lustigen Brille, blitzenden Augen, der sich
in seine Arme eingewickelt hatte, weil er nur ein T-Shirt trug, mit dem etwas unglücklich geratenen
FunFun -Logo
: Ein pinkfarbenes Dreieck, der Stationsname in der Miami-Vice-Schriftart, darunter in einer anderen Typo die Frequenz, und:
Fun Radio für Marbrunn
, dritte Schriftart. Alles ziemlich amateurmäßig, aber herzig. Das hatte mit dem Berliner Radiodschungel nicht viel zu tun,
eher mit Jamaica-Feeling, alles aus Spaß,
cool, man
, machen wir halt Radio.
Statt den ganzen Tag zu kiffen.
»Nein, ich friere nicht«, sagte ich höflich, aber es stimmte nicht, wie mir jetzt bewußt wurde: Ich fror wie ein Schneider,
trotz der neuen Wildlederjacke. »Doch, scheiße, es ist verdammt kalt. Ist hier irgendwo ein Café oder so was?«
»Du bist nicht von hier«, stellte der Wuschelkopf fest.
»Berlin.«
»Du kannst bei uns einen Kaffee trinken. Wenn du eine Mark klein hast.«
Er ging wieder hinein, in das gläserne Studio, für ihn war klar, daß ich nachkommen würde. Also tat ich es. Kleiner Empfangsraum,
ein paar Tische, eine Wendeltreppe in den ersten Stock, das Studio. Keine großartige Technik, aber cool. Eine junge Frau moderierte,
zur Zeit lief Musik, natürlich Charts, leise über die Lautsprecher im Empfangsraum. Die junge Moderatorin nickte ganz leicht
im Takt, während sie sich offenbar Notizen machte, völlig dem Job ergeben – ach, wie ich das kannte. Der Wuschelkopf kam mir
vom Tresen aus wieder entgegen, hatte kurz telefoniert, hielt mir seine ausgestreckte Hand entgegen, Handfläche nach oben.
»Ach ja, die Mark.« Ich wühlte eine Münze aus der Tasche, der Wuschelkopf holte mir einen Becher dampfenden Instantkaffee.
|163| »Und, was treibt einen Berliner nach Marbrunn?«
»Urlaub«, antwortete ich wahrheitsgetreu.
»Wir haben viele Berliner hier«, erklärte er. »Und Japaner. Jede Menge.
Europe in five days
, unser Dom ist über fünfhundert Jahre alt.« Er grinste. Ein freundlicher Typ, sehr sympathisch.
Weil ich nichts sagte und mich ein wenig umguckte, quatschte er einfach weiter.
» FunFun
ist im dritten Jahr. Wir haben eine Reichweite von etwa hunderttausend Hörern, wenn man alles mitrechnet. Wir kämpfen gerade
um die zweite Frequenz im Landkreis. Interessierst du dich für Radio?«
Ich nickte, tatsächlich. Unbewußt. Reine Reaktion.
»Privat oder beruflich?«
Darauf wußte ich erst mal keine Antwort.
»Ich habe in Berlin Radio gemacht. Bis vor einem Jahr«, sagte ich schließlich.
»Und wo?«
» PowerRock Berlin
.« Ich hatte wirklich große Schwierigkeiten, das zu sagen, verzog wahrscheinlich das Gesicht, spürte ein leichtes Würgen,
plötzlich schmeckte der Kaffee nicht. Es war nicht mehr
meine
Station; der Freier ging jetzt zu einer anderen Hure.
» Coo-ell «
, tönte er, sichtlich begeistert, strahlte. »Wow. So was würden wir auch gerne hinkriegen. Warum die damit aufgehört haben,
werde ich nie verstehen.« Er schüttelte den Kopf. »Eine Kacke, was die jetzt machen. Kennst du Kunze?
Don FM
? Natürlich mußt du den kennen. Das ist mein
Held
. Kennst du. Oder?«
Ich glotzte ihn einfach nur an. Bekam eine Gänsehaut.
»Das kann man wohl sagen«, brachte ich zögernd raus. »Bin ich schließlich selbst.«
Nun war es an ihm, zu glotzen. Das
» Coo-ell «
kam erst ein paar Sekunden später. Er nickte: »Deine Stimme kam mir gleich bekannt vor. Mannometer.«
Mir wurde die Situation unangenehm, obwohl sie gleichzeitig |164| natürlich tierisch angenehm war.
Mein Held
. Ich trank den Becher rasch aus, viel zu schnell, und reichte ihn meinem Gegenüber. Mir war nicht nach Heldentum.
»Ich muß.«
Wuschel glotzte immer noch, aber hinter seiner Stirn tickerte es.
»Wie lange bleibst du in Marbrunn?«
»Weiß noch nicht. Ein paar Tage.«
»Mann, würdest du eine Sendung machen? Irgendwann? Wir zahlen auch.«
»Ich weiß nicht«, antwortete ich. Oder ein Teil von mir.
Er gab mir seine Karte, drückte mir die Hand, schüttelte den Kopf.
» Coo-ell
. Donald Kunze. Wahnsinn. Mann, du
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