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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Heizungsthermostate hoch. Dann ging ich einkaufen, den Zettel von Frank in meiner
     Tasche. Aus einer naßkalten Telefonzelle rief ich ihn an.
    »Mann, du hättest dich auch
richtig
von Liddy verabschieden können«, brüllte er.
    »Woher weißt du?« fragte ich konsterniert.
    »Ich bin heute morgen in Berlin angekommen. Habe mit ihr telefoniert. Ich war die ganze Zeit in Japan.«
    »Japan«, wiederholte ich, leicht verwirrt. Dortmund lag doch … im Ruhrgebiet. Oder? Jedenfalls in dieser Ecke. Nicht in Japan.
    »Natürlich Scheiß-Japan.
Limited Frustrations
sind da seit vier Monaten Nummer eins. Wußtest du das nicht?»
    Ich schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Was interessierte mich das schon?
    »Herzlichen Glückwunsch«, brachte ich heraus, in der Annahme, daß er etwas damit zu tun hatte, was hätte er sonst in Japan
     zu suchen gehabt? Dann klingelte es bei mir. Stimmt ja. Die Band, die
ich
finanziert hatte.
    »Nummer eins?« fragte ich unsicher nach. »In Japan?«
    »Japan, Südkorea, Taiwan. In den Charts in Australien. Nummer zwei in Neuseeland. Aber am meisten fahren die Japse darauf
     ab, die
lieben
es. Ich war zum Tourneestart hier.«
    »Cool.«
    »Das kannst du laut sagen, Alter. Wo treffen wir uns?«
    »Äh. Keine Ahnung.« Ich blickte quer über den Platz, das
Irish Heaven
war noch immer dicht. Natürlich.
    »Komm zu mir, ich wohne im
Kempi

    Ich starrte auf meine Plastiktüten und sagte »Okay«.
     
    Frank war schwer gealtert, hatte mächtig graue Haare, jede Menge Fältchen im Gesicht, sah tierisch übermüdet aus, was |190| den Eindruck wahrscheinlich verstärkte, und ich fragte mich, wie ich wohl auf ihn wirkte – wie ich aussah, für ihn. Das sind
     diese Momente, in denen einem bewußt wird, daß der Fortgang des Lebens nicht nur durch den Kauf der nächsten Schachtel Zigaretten
     markiert wird.
    Er strahlte, grinste breit, riß mich an sich, klopfte mir auf den Rücken, der in der dicken Wildlederjacke steckte. Mit dem
     leicht lächerlichen
Popper
, der in meinem Laden gestanden und von einer Mischung aus
Culture Club
und
Camouflage
geträumt hatte, gab es keine Gemeinsamkeiten mehr. Bis auf das Grinsen. Wie auf dem Weg zur Tanzfläche, im
V.I.P.-Club
. Den es glücklicherweise seit Jahren nicht mehr gab.
    »Kempinski«, kommentierte ich, ein Kopfnicken in Richtung Rezeption.
    »Japan«, antwortete er.
»Scheiß- Nummer-eins
. Seit vier Monaten. Hast du eine Ahnung, wieviel verkaufte Platten das sind?«
    »Nee.«
    Er wußte es auch nicht genau. »Jede Menge«, antwortete er sich selbst. »Komm, wir trinken einen.«
    Das war eine gute Idee, außerdem war es ja schon dunkel.
     
    Wir tranken nicht einen, sondern eine Menge. Alte Zeiten sind manchmal wunderschön, und wir hatten einen guten Anteil davon
     gemeinsam verbracht, im
Your Sound
, in den Kneipen, im Anschluß an meine erste Sendung beim
Offenen Kanal
, und auch danach noch, allerdings mit rasch abnehmender Tendenz. Frank war aus Berlin abgehauen, bevor wir uns entscheiden
     mußten, wie sich das Verhältnis entwickeln würde, und hatte uns damit die Entscheidung abgenommen.
    Erst erzählte ich, anfangs etwas unlocker, dann er: Das Studio, lauter Durchgeknallte, Produktionen für lau, Wasser und Brot
     sozusagen, ambitionierte Bands mit Potential, die aber keiner kaufen wollte. Bis die kleine Geldspritze von mir |191| kam, die ich längst vergessen hatte. Veronikas Geld –
Nicas
Geld. Das eigene Label.
Your Sound Records
.
    Ich erzählte ihm, wer
Limited Frustrations
tatsächlich finanziert hatte – und wie. Er nickte stumm, hob sein Glas auf Veronika. Ich tat es ihm gleich, Tränen kullerten,
     dann umarmte er mich.
    »Was willst du mit dem Geld machen? Eine Radiostation?«
    »Wie? Was für Geld?«
    »Bist du völlig bescheuert? Mann, du bist
reich
. Hast jetzt richtig dicke Kohle. Ich kann dir noch nicht genau sagen, wieviel. Aber es ist
viel

    Ich war vor den Kopf geschlagen. Natürlich. War ja nur logisch. Wenn eine Band Erfolg hat, verdient man damit viel Geld.
    »Du kannst ja das Geld von Veronika zurückzahlen«, schlug ich zaghaft vor. Ich wußte mit der Situation nichts anzufangen,
     überhaupt nichts. Geld. Hatte mir nie etwas bedeutet. Eine Sache, die ich meinen Eltern zu verdanken hatte: Bewältigung durch
     Negation. Ihnen hatten Geld und Besitz
alles
bedeutet, am liebsten hätten sie sich die Kontostände auf die Stirn tätowiert, leicht beschönigt. Mir bedeutete Radio machen
     alles. Geld war etwas, das man

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