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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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wurde, nur weil die Leute auf eine Chance hofften, ein paar Tausender abzuzocken? |194| Das ist doch widersinnig. Radio als Sekundärprostitution. Nur, daß hier die Nutte bezahlte.
    Kannst du eigentlich an nichts anderes denken?
hatte Liddy gefragt. Nein, sagte ich mir. Kann ich nicht.
     
    Ich ließ mich an einem Restaurant in der Nähe des Marheinekeplatzes absetzen, bestellte was und versuchte danach, Cunningham
     ausfindig zu machen. Das war nicht schwer. Er wohnte noch da, wo er vor über einem Jahr gewohnt hatte. Gleich bei mir um die
     Ecke. Sagte mir die nette Frau von
Mannesmann Mobilfunk
, während ich mein Steak kaute. Moderne Zeiten. Cool. Ich hielt den Apparillo in der Hand und starrte ihn an. Zauberei.
     
    Lindsey sah wüst aus. Völlig heruntergekommen. Stoppelbart, irgendwie
unsauberes
Gesicht, trübrote Augen, dicke Ränder drum herum. Er erkannte mich nicht, stand in speckigen Boxershorts in der Tür, schien
     zu zittern; er hielt mich für den Postboten, einen Werbefritzen, den Gaszählerableser. Das Aussehen des Collegeboys entsprach
     zum ersten Mal seinem Alter. Ich verkniff mir, das
Endlich
zu denken. Das war kein Fortschritt, nur Verlust.
    »Was wollen Sie?« fragte er, schwerer Akzent, irgendeine Droge hatte ihn fest im Griff, zumindest die Nachwehen irgendeiner
     Droge. Ich fühlte mich
sehr
übel. Das hier war meine Schuld. Ich hatte ihn überredet, zwar in gutem Glauben, aber das war egal.
    » Einen blasen
«, sagte ich.
    »What?« Er glotzte mich an, dabei weiteten sich seine Augen ein wenig. »Fuck.
Kunnße
. Du Arschloch.«
    Er drehte sich um und ging weg, ließ aber die Tür offen. Das war schon der zweite, der mich innerhalb eines Tages »Arschloch«
     genannt hatte.
     
    Seine Wohnung glich einem Trümmerfeld, und es stank, wie damals in der WG, in der Veronika gewohnt hatte. Überall |195| lag Müll, dazwischen jede Menge Papiere, in der Ecke ein blauer Plastiksack, aus dem ein verkehrt herum aufgerolltes
PowerRock Berlin
-Poster herausragte.
    Er stand vor einem wackligen Tisch und kramte herum. Dann drehte er sich zu mir.
    »Das kannst du wiederhaben«, sagte er.
    Die Visitenkarte.
Director, Music and Programming
. Mit der ich ihn nach Berlin gelockt hatte. Auf Vögler-Art.
    Lindsey ging in ein angrenzendes Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu, in einer Weise, die keine Fragen offenließ. Laß
     dich hier nie wieder sehen, hieß das.
Friß Scheiße und verrecke
. Egal was, egal wie, aber verschwinde aus meinem Leben.
    Ich hielt das Stück Pappe in den Händen, starrte auf die Goldprägung. Was wollte ich hier? Mich entschuldigen? Entschuldigen?
     Scheiße, nicht ich war das Arschloch – das Arschloch hieß Vögler. Lindsey war auf dem falschen Dampfer. Teilweise jedenfalls.
    Ich setzte mich vorsichtig auf eine Art Stuhl, genau war das nicht zu erkennen, und beschloß, zu warten.
    Zehn Minuten später kam Lindsey zurück. Er hatte geduscht und sich angezogen. Sah noch immer schrecklich aus, aber nicht mehr
     mitleiderregend. Eher
penner
schrecklich. Sieht halt so aus. Berufskleidung. Hätte er mir gesagt, er müßte jetzt runter zum U-Bahnhof, um dort zu betteln,
     dann hätte mich das nicht erstaunt.
    »Du bist ja immer noch da.«
    »Es war nicht meine Schuld, Lindsey. Nicht wirklich. Vögler hat mich genauso abgezockt.«
    Er blinzelte, wurde langsam wacher. Die Rötung seiner Augen gab sich langsam. Koks? Crack? Heroin? Oder doch nur ganz simpler
     Alk, in hoher Dosierung?
    »Und warum bist du einfach verschwunden?«
    Ich seufzte.
     
    Lindsey hatte einen Monat nach mir die rote Karte bekommen. Nachdem er sich beharrlich geweigert hatte, die neue |196| Programmierung nach Vöglers Vorgaben umzusetzen, war er gebeten worden, das
Team
zu verlassen. Als er versucht hatte, sein kleines Computerprogramm und die vielen Archivdaten mitzunehmen, hatte es richtig
     großen Ärger gegeben, Abmahnungen, Einstweilige Verfügungen, solche Sachen. Seitdem hockte er in der Bude, arbeitete zwei
     Tage in der Woche in einem ziemlich abgefuckten Plattenladen, lebte ansonsten vom Rest seiner Kohle. Welche Droge er nahm,
     verriet er mir nicht.
    »Warum bist du nicht zurückgegangen? In die Staaten?«
    »Zurück? Nachdem ich in
fucking Deutschland
auf die Schnauze gefallen bin?«
    »Wer weiß das schon drüben?«
    »Alle wissen das. Ich habe ja schließlich selbst dafür gesorgt. Als
PowerRock
auf eins war, habe ich Briefe geschrieben. Ein paar Leute angerufen. Mich selbst gefeiert, als den

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