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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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in der Tasche hatte, zum Zigarettenziehen – natürlich nie die richtigen Münzen. Geld kam aus
     Geldautomaten, meistens. Deshalb heißen die so.
    Was Frank dann brüllte, war nicht zu verstehen. Er bekam eine Art Tobsuchtsanfall. Rannte auf Klo, kam ein paar Minuten später
     wieder, sah etwas frischer aus, sogar jünger. Er blieb vor mir stehen, immer noch luxseifenrot im Gesicht.
    »Du bist nur doof, weißt du das? Reißt dir den Arsch auf, um
nichts
zu erreichen, außer kurzzeitig berühmt zu werden, Radio zu machen für diese …« – er machte eine Handbewegung, die interessanterweise
     die anderen Gäste in der Bar des Kempinski einschloß – »… Arschlöcher.« Er sagte |192| das so laut, daß sich ein paar der Anwesenden peinlich berührt abwendeten, ein dicker Glatzkopf mit riesiger Zigarre in der
     Hand lachte. Der Rezeptionist zog die Augenbrauen hoch.
    »Du bekommst die Hälfte von dem, was ich verdient habe. Plus Rückzahlung des Anteils. Wenn du es nicht nimmst, schmeiße ich
     die Kohle eben weg.«
    Er setzte sich wieder. Ich dachte nach, ohne genau zu wissen, worüber. Was würde Liddy sagen?
    »Andererseits«, begann er und lächelte.
    »Nein!« Ich hob die Hände. »Du hast ja recht. Es ist nur ein wenig … überraschend.«
    Natürlich war das auch mein Erfolg, ich hatte ihn ja finanziert – indirekt zumindest, nach meinem Gefühl. Es war üblich, den
     Gewinn unter denjenigen aufzuteilen, die ihn möglich gemacht hatten. Und Veronika war tot.
    »Wow«, sagte ich. Dann tranken wir weiter.
     
    Zwei Tage später besaß ich wieder ein Telefon, erstaunlicherweise, so ein kleines Funkding, mit dem man von überall telefonieren
     konnte, Frank hatte es mir geschenkt; ich rief Liddy an und entschuldigte mich bei ihr für die rasche Abreise. Sie sagte:
     »Ist schon okay. Meld dich halt mal.« Bevor ich etwas antworten konnte, kam: »Du, ich bin in Eile.« Und sie legte auf.
    Frank blieb einige Tage in Berlin, sein Label hatte zwar
Limited Frustrations
verlegt, aber es gab noch keine Plattenfirma für Deutschland. Das Album war nicht zu haben, bei uns. Kein Wunder also, daß
     ich nichts davon gehört hatte. Davon abgesehen hatte ich mich seit einem Dreivierteljahr nicht mehr für so was interessiert.
     Seine Verhandlungsposition war natürlich, vorsichtig ausgedrückt, erstklassig. Ich brachte ihn im Taxi zum Flughafen, von
     wo aus er nach Dortmund zurückflog. Drei brauchbare Angebote hatte er im Sack. Er wollte sich in den nächsten Tagen wieder
     melden. Mir einen ersten Scheck schicken. Einen
dicken
.
    |193| »Was ist mit Liddy?« fragte er mich, während er in der Schlange stand, um einzuchecken. Ich trug noch immer die Wildlederjacke,
     war ein bißchen geistesabwesend: Wir hatten
PowerStation
im Taxi gehört, ich mußte den Taxifahrer zwingen, den Sender reinzudrehen. »Ist doch Scheiße«, hatte er gemurmelt. »Nicht
     mehr gut.«
    »Was soll mit Liddy sein?«
    »Du bist wirklich total doof«, erklärte Frank grinsend, dann war er an der Reihe, klopfte mir abermals auf die Jacke, verschwand.
     Ich blieb eine ganze Weile stehen, hörte die Ansage, daß die Maschine gestartet war, sah sie davonfliegen, und ich freute
     mir die Arschbacken ab. Für Frank.
     
    Auf dem Heimweg nötigte ich den nächsten Taxifahrer,
PowerStation
einzuschalten. Geist-und gesichtsloser Mainstreamdreck, Hit auf Hit, davon ein gut Teil Coverversionen älterer Hits und inhaltsleere
     Moderationen, Jingles zum Fürchten, genau das, was alle machten. Aber keine Spots von Coke oder Nike. Statt dessen relativ
     üble Provinzwerbung. Die Garage an der Ecke. Der Makler von zwei Straßen weiter. Und jede Menge Eigenwerbung. Gewinnspiele
     und Ankündigungen für Gewinnspiele.
    War die Zeit für Rock vorbei, oder hatten die Sender einfach nur den Rock begraben? Beides stimmte nicht. Natürlich wäre das
     Konzept früher oder später überarbeitungswürdig geworden, natürlich veränderte sich die Musik. Eine Hörerschar, die mit dem
     Sender altert, bringt wirklich nichts, niemandem, und keiner will wirklich auf ewig
Smoke On The Water
hören. Aber Idiotentechno und gelangweilt verpoppte Coverversionen waren auch keine Antwort, vor allem nicht garniert mit
     gezwungen-jugendlichen Moderationen, denen man anmerkte, daß die DJs dabei gegen den Würgereiz ankämpften. Oder immer noch
     dämlichere Gewinnspiele. Bestechung der Hörer. Welcher Idiot hatte das erfunden? Was hatte ein Radiosender davon, wenn er
     gehört

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