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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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ersten Stock. Ich war skeptisch, sehr skeptisch. Aber einen Morgen könnten wir verkacken. Hoffte ich.
    Am Tisch neben dem Studio saß Wuschelkopf Kranitz und hatte Tränen in den Augen. Lachtränen. Harmann und Grieberg hielten
     sich ebenfalls die Bäuche. Sie redeten mit einem Anrufer, verdrehten ihm das Wort im Mund, auf nette Art, fragten ihn total
     wirre Sachen, veralberten sich gegenseitig. Zwischendrin Musik, ab und zu, ein feiner Mix aus Pop und Rock, subtil, hochklassig,
     ein ganzer Hit alle sechzig Minuten, höchstens. Das Musikprogramm von
MBR
hatte mit
PowerRock
wenig gemein, es
sollte
nicht bummern und krachen, nur ab und zu. Eine Art Klangkunstwerk, feine Melodien und gut produzierte Songs, viel Unbekanntes:
     Es erschienen so viele tolle Platten, täglich, aber der Chartradio-Einheitsbrei machte die Leute glauben, es wären höchstens
     vier oder fünf pro Monat, davon drei Cover alter Hits. Lindseys Job war nicht leicht, daß er Musik überhaupt noch mochte,
     grenzte an ein Wunder.
    Ich saß eine Stunde da und hörte einfach zu, bekam Lachanfälle und vergaß dabei fast, mich auf meine eigene Sendung vorzubereiten.
     Hagelmacher telefonierte immer noch mit Hörern, und es klingelten pausenlos die Telefone, überall im Haus, man hörte sie sogar
     von oben, obwohl da Apparate standen, deren Durchwahlnummern eigentlich nur wenige Leute kennen sollten.
    |207| »Mann, du mußt um vier aus den Federn.«
    Er schüttelte den Kopf. »Schlafen kann ich sowieso nicht.« Er zog die Stirn kraus. Sprach dann in den Hörer: »Nein. Das habe
     ich zu jemand anderes gesagt.« Er grinste mich verkrampft an.
     
    Als ich um zehn vor zwölf ins Studio ging, waren die beiden Kabarettisten noch in voller Fahrt. Ich zeigte auf die Uhr. »Oh«,
     sagte Grieberg. »Mami schimpft. Wir müssen ins Bettchen. Bis morgen denne, Leute. Zweiundzwanzig Uhr. Ihr könnt die
Tagesthemen
ja aufzeichnen.« Er zog die Platte hoch, kurz danach sein Mikro runter. Schnellkurs bei Hagelmacher. Wann hatte der überhaupt
     zuletzt geschlafen?
    »Kunze, das macht ja einen
irren
Spaß«, sagte Harmann.
    Ich grinste.
    »Ich hoffe, wir schaffen es«, ergänzte Grieberg. Ich schluckte, kämpfte gegen meine Tränendrüsen, diese Weicheier. Cool. Er
     hatte
wir
gesagt.
    Meine Plattenkiste stand bereit, daneben mein Clocksheet, handredigiert von Lindsey.
Keine Ausnahmen
. Zwischen den Songs konnte ich machen, was ich wollte, aber die Programmierung mußte eingehalten werden. Ein Titel plusminus,
     die Plus-Titel säuberlich auf einer Extraliste. Wunschmusik gab es bei
MBR
nicht. Nachrichten, in Kurzform, das meiste einfach vom Videotext abgeschrieben. Dann ich. Donald
Don FM
Kunze für
Marbrunn Radio
. Ich schaltete ins
Cellar
, sprach noch ein paar Minuten mit Charlie, live, er redete wirres Zeug, trotzdem war pausenlos Geklatsche im Hintergrund
     und »Hoch! Hoch!«-Rufe, und dann fuhr ich meine allererste Sendung bei einem Sender, der mir gehörte.
    Nicht alleine.
    Aber das war okay. Hoffte ich.
    Harmann und Grieberg blieben draußen sitzen, tranken
Marbrunn Dunkel
, während Hagelmacher immer weiter telefonierte, ab und zu Kaffee holte. Um drei kamen die beiden |208| Redakteure für die Morgensendung, liefen mit erhobenen Daumen die Wendeltreppe hoch. Hagelmacher blieb.
    Kurz vor fünf kam er mit einem Stapel Papier und zwei Plattenkisten ins Studio. Er sah fürchterlich aus, zittrig, übernächtigt,
     aufgedreht, rotfleckig. Starrte mich mit glasigen Augen an.
    »Scheiße. Meinst du, du schaffst das?«
    Er nickte heftig, fast fiel ihm eine Plattenkiste runter.
    »Na. Meinetwegen.«
    Er schaffte es. Seine Stimme klang immer noch höchst seltsam, aber er modulierte sauber, hatte Betonung gelernt, sagte nur
     das Nötigste, aber das prägnant, gekonnt. Die Gesprächspartner hatte er gut im Griff, was einfach war – fast ausschließlich
     Promis, die uns gratulierten. Smalltalk mit dem Bürgermeister, die einzige Stelle, an der er ein bißchen schüchtern wirkte
     – und offensichtlich gegen den Schlaf ankämpfen mußte. Nach fünf Stunden kam er aus dem Studio und brach im Vorraum zusammen.
     Unter dem Applaus der ganzen Leute, die inzwischen aus dem
Cellar
gekommen waren: Charlie, Frank, Hansi,
Limited Frustrations
und noch ein oder zwei Dutzend andere.
    Nur Liddy nicht.
     
    Daß es von Anfang an bombig laufen würde, hatten wir nicht erwartet.
FunFun Radio
rief zum Schluß lächerliche Werbetarife auf, Spots wurden umsonst produziert,

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