Radio Nights
Radio für katholische Bauernwitwen. Immerhin: Viertausend Ideen. Zwei blieben, zwar nicht die
originellsten, aber diejenigen, mit denen man arbeiten konnte:
M.B.R. – MarBrunn Radio
. Und
Neues Radio Marbrunn
. Weil sich
NRM
nicht so gut aussprach wie
MBR
, vor allem in englisch, entschieden wir uns für letzteres. Hansi durfte die Station wieder betreten, ging mit Lindsey in
den Keller und produzierte Jingles. Wir hatten keine Zeit für
JAM Productions
, und auch nicht genug Geld. Hagelmacher reiste an, löste Hansi im Studio ab, redete kein Wort mit mir, kam nur, weil Lindsey
ihn gebeten hatte. Am Tag vor Sendestart standen die Spots, die Jingles, die Trailer. Marbrunner Kinderchor. Eine Gesangsgruppe,
die normalerweise Choräle intonierte. Ein paar Musiker, die sich für die Punker von Marbrunn hielten, aber eigentlich schrecklich
nette, mittelmäßig gute Mainstreamer waren. Ein Typ, der Schlager nachsang. Hausfrauen. Studentinnen.
Viel schwerer als die technische und logistische Vorbereitung war es wieder, Moderatoren zu finden, Discjockeys. Bis auf den
Münchener Morgenmann, den wir auf den frühen Abend verlegt hatten, und mich selbst für die Nacht,
natürlich
, gab es nur zweite Wahl. Leute, die zwar halbwegs sprechen konnten, aber nichts zu sagen hatten. Leute, die halbwegs frei
reden konnten, aber nichtssagende Stimmen hatten. Natürlich hätte ich ein, zwei Wochen lang zehn, vierzehn Stunden pro Tag
senden können. Aber das wäre nicht einmal die zweitbeste Lösung gewesen. Scheiße, am liebsten hätte ich natürlich twentyfour-seven
gemacht, vierundzwanzig Stunden-Sieben Tage, aber selbst ich kapierte, daß meine Ressourcen begrenzt waren. Und außerdem sollte
es kein Kunze-Personality-Radio werden.
Wir fanden schließlich einen Typen für das Mittagsprogramm, einen Kellner aus dem
Brückenkopf
. Coole Stimme, |200| und was er sagte, war okay, wenn man ihm alle halbe Stunde das Mikro gewaltsam wegnahm. Hansi blieb auf der Notfalliste. Ich
erwischte den dicken Charlie, wie er trotz Verbots im Studio saß und einen auf Radio machte. Gekauft. Charlie im Abendprogramm.
Wenigstens für die erste Zeit. Fortan ward er nicht gesehen, saß gerüchteweise zu Hause und redete in Radiomanier mit sich
selbst.
Dann fielen mir die beiden Typen aus dem Café wieder ein. Natürlich. Die Lösung. Denen könnte man guten Gewissens den gesamten
Nachmittag geben, von zwei bis sechs. Wenn man sie finden würde. Denn vielleicht waren das nur Touristen gewesen – mit hoher
Wahrscheinlichkeit sogar, denn in dieser Gegend sagte man Mettsemmel zu Hackepeterbrötchen. Jedenfalls wußte keiner, den ich
darauf ansprach, mit meiner Beschreibung etwas anzufangen. Wir sendeten einen Aufruf.
Seitensprünge sind wie Hackepeterbrötchen
. Wer damit etwas anzufangen wüßte, solle sich melden. Aber es meldete sich niemand. Nur ein paar Damen, die erklärten, daß
der Vergleich ziemlich daneben sei. Und daß man in dieser Gegend
Mettsemmeln
sagte.
Frank hatte
Limited Frustrations
in Rekordzeit auf den deutschen Markt gebracht. Das Album war bereits gemastert, es gab ein Cover – japanische Schriftzeichen
gegen lateinische auszutauschen, das kostete keine Zeit –, und drei Tage vor dem Sendestart von
MBR
erschien
Unsafer Sex
in Deutschland. Frank kam nach Marbrunn, brachte das frische Album mit, und außerdem die Band im Schlepptau. »Ein Geschenk
zum Sendestart. Von wo aus können wir live senden?« Er drehte auf dem Hacken um und fuhr nach München, um die Technik zu besorgen,
die wir bräuchten, um aus dem
Cellar
zu übertragen.
Lindsey ging inzwischen am Stock, hing zwar nur noch in der Station herum, fiel aber quasi auseinander. Er war fahrig, unkonzentriert,
erbrachte eine enorme Leistung, hatte alles |201| im Blick, und mehr als das, lief aber definitiv auf Notstrom. Es war inzwischen eine Frage von Stunden, bis er durchdrehen
und irgendwelchen Unsinn anstellen würde. Das Weiß seiner Augen war völlig verschwunden, knallrot mit ungesund gelblichen
Anteilen, und seine Pupillen … gottogott. Wahrscheinlich holte er sich irgendwelchen Koffeinkrempel aus der Apotheke, die
Quellen für
was auch immer er brauchte
waren in Marbrunn sicher schwer zu finden. Ein einziges Mal hatte ich einen Deal im
Cellar
beobachtet, und der Typ war achtzigkantig rausgeflogen; Charlie hatte in die gleiche Richtung gesehen.
Zwei Tage vor dem
D-Day
nahm ich mir Lindsey zur Brust.
»Okay,
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