Radio Nights
Wunder. Er war wie ein kleiner Junge, der gerade das teure Porzellan zerdeppert
hat, jedoch eine Eins in Mathe nach Hause bringt.
Lange war er sicher noch nicht drauf, und daß er die ersten Tage ohne Stoff ausgekommen war, bewies, daß er nicht voll drauf
war. Aber was hieß das? Ich selbst schaffte es nicht einmal, mit dem Scheiß-Rauchen aufzuhören, hatte es allerdings auch noch
nie ernsthaft versucht, höchstens mal einen halben Tag lang, nach so einer Nacht, in der man sich drei Schachteln reinzieht,
dazu zwei Dutzend Biere, und sich morgens denkt, daß es gesünder, angenehmer sein
könnte
, dieses Gefühl nicht zu haben, diesen Geschmack im Mund, diesen trockenen Husten, zu glauben, sich nie wieder richtig gut
zu fühlen. Wie bei einer Krankheit, wenn man sich schon am Ende des ersten Tages kaum mehr vorstellen kann, je wieder so richtig
auf den Beinen zu stehen.
Andererseits
, um den guten Frank zu zitieren – Rauchen kostet einen zwar ein paar Jahre des Lebens, aber es sind ja die schlechten, die
am Ende. So hat es Denis Leary formuliert, sehr treffend, in seiner phantastischen Show
Now Cure For Cancer. I’m An Asshole
war auf unserer Playlist, gerade in dieser Woche.
Ich traf mich oft mit den drei Burschen, wir hatten viel Geschäftliches zu klären, redeten aber die meiste Zeit über den Sender:
Es machte einfach zu viel Spaß, darüber zu reden. War zu verlockend. Uns lagen zwar keine Zahlen vor, die kämen erst in ein
paar Wochen, aber das Programm hatte sich etabliert, zum Nummer-eins-Kulturobjekt der Region entwickelt, wurde angenommen,
interessanterweise von einer weit größeren Zielgruppe, als wir erwartet hatten, wie die Ad-hoc-Umfragen ergaben. Ich fühlte
mich an die Rockkonzerte erinnert, die ich in Amerika besucht hatte: Jung und alt saß da nebeneinander und feierte Mellencamp,
Jackson Browne, sogar Guns ’N Roses gemeinsam, und etwas Ähnliches geschah im Landkreis.
MarBrunn Radio
war |212|
ihr
Radio, und das war das größte, was wir erreichen konnten. Wir hoben uns auf eine Art vom Privatradio-Matsch ab, die
Marbrunn Radio
mehrere Aspekte gleichzeitig erfüllen ließ: Unterhaltung, Information, Kommunikation, Kunst und Person in einem. Insbesondere
letzteres. Nichts, das wir taten, wirkte – oder war – aufgesetzt oder gezwungen. Es hatte eine Leichtigkeit und Lebendigkeit,
die es bei anderen Sendern nicht, nicht mehr gab, unsere Moderatoren waren gelegentlich entwaffnend inkompetent, aber ehrlich
und außerdem versiert, technisch obenauf, dafür sorgten permanente Nachschulungen und Manöverkritiken. Schwer zu sagen, worin
exakt der Charme von
MBR
bestand, aber es machte unglaublichen Spaß, darüber zu spekulieren. Tatsächlich lag unsere Zielgruppe bei den unter Vierzigjährigen,
im weitesten Sinne, doch sogar die katholischen Bauernwitwen hörten uns. Auch, wenn sie wahrscheinlich bei Garbage oder den
Smashing Pumpkins die Ohren anklappten. Von den kleinen, feinen, manchmal etwas punkigen Bands, deren Alben Lindsey wo auch
immer auftrieb, ganz zu schweigen.
Ich saß in der Redaktion und besprach mit Hagelmacher die kleinen Änderungen, die wir am Morgenprogramm vornehmen wollten,
nur geringfügige Sachen – Hagelmacher war unser
Anchor
.
Mein Telefon klingelte.
»Hier ist Charlie.« Charlie kümmerte sich inzwischen hauptsächlich um die Kneipen, was mir ein bißchen leid tat, aber die
Sandkastenzeiten von
FunFun Radio
waren eben einfach vorbei.
»Hi.«
»Ich habe eine schlechte Nachricht.«
Er sagte das so, als hätte er eine
wirklich
schlechte Nachricht. Sofort mußte ich an Sedler denken, daran, daß der alte Puffpolitiker irgendwas Fieses ausgeheckt hätte,
weg mit der zweiten Frequenz, in der Art. Ich wußte, daß er durch die |213| Gegend rannte und allen erzählte, wir hätten ihm den Sender weggenommen, allerdings waren wir so beliebt und Sedlers Glaubwürdigkeit
derart angeschlagen, daß niemand etwas darauf gab. Dann dachte ich kurz an Vögler.
»Was ist?«
»Liddy ist verschwunden.«
|214| 5. One Bourbon, One Scotch, One Beer
Lieber Donny,
es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen; ich weiß nicht, ob Du überhaupt auf diese Idee gekommen bist. Mir geht es gut,
wirklich. Ich bin unterwegs, auf der Suche nach einem neuen Zuhause, vielleicht weiter südlich, vielleicht auch ganz woanders.
Ich bin in einer komischen Stimmung, ein wenig nostalgisch, könnte man sagen.
Es freut mich, daß Du es
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