Radio Nights
Schaltungen bis anno Tobak zugesagt, für ein
paar Mark fuffzich, Hauptsache Vorkasse,
cash flow
. Gut zwanzig Prozent der wenigen Werbezeit, die wir dem Gesetz nach auch noch in Blöcken belegen mußten, brachte keinen müden
Heller. Da es kein wirklicher Neustart war, keine Firmengründung, mußten wir die Verträge einhalten. Glücklicherweise nicht
die Tarife, jedenfalls für die Zukunft. Während der ersten Woche rotierten wir, Charlie, Hansi, Kranitz und ich, um neue Werbung
zu verkaufen.
Ab dem dritten Tag lief es wie von selbst.
Marbrunner
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Domhof Bräu
hob seinen laufenden Vertrag mit uns einvernehmlich auf, um einen neuen zu den aktualisierten Bedingungen abzuschließen. Hansi
und Hagelmacher legten Doppelschichten ein, um neue Spots zu produzieren, jeder örtliche Gewerbetreibende, der etwas auf sich
hielt, wollte auf
Marbrunn Radio
vertreten sein. Mit Ausnahme von Sedler, der dafür inzwischen regelmäßig auf der Titelseite des
Marbrunner Anzeigers
vertreten war – allerdings nicht mit Werbung: Von hohen sechsstelligen Summen war die Rede, Haftstrafen auf Bewährung.
Am Ende der ersten Woche kamen die ersten überregionalen Spots. Zwei Wochen nach Sendestart konnten wir damit anfangen, Zeit
in der ferneren Zukunft zu verkaufen, vier, fünf Monate im voraus.
Und das Programm kam an. Natürlich. Als wenn das eine Frage gewesen wäre. Hagelmacher steigerte sich von Tag zu Tag, wurde
richtig sicher, kam um drei Uhr morgens in die Station, um gemeinsam mit den Redakteuren die Sendung vorzubereiten, absolut
professionell, gewissenhaft, machte selbst Vorschläge. Seine Stimme veränderte sich zwar nicht, wurde aber charakteristisch
für unser Morgenprogramm.
Und auch der Rest lief bestens. Ich war rund um die Uhr mit dem Sender beschäftigt, fast zwei Monate lang, ging kaum mehr
in die Kneipen, höchstens am Samstag ins
Cellar
oder vor der Sendung auf ein schnelles Bier in den
Brückenkopf
, wohnte weiter im Hotel, weil das einfach praktisch war – und ich es mir leisten konnte. Ich sah Liddy zwei, drei Mal in
dieser Zeit, irgendwo, einmal auf der Straße, da hielt ich sie an, wollte einen Kaffee mit ihr trinken gehen, aber sie winkte
ab, hatte angeblich keine Zeit, war auf dem Weg zu einem Termin. Da ich selbst eigentlich auch keine Zeit hatte in diesem
Augenblick, ließ ich sie gehen. Sie wäre da, wenn ich sie bräuchte. Dachte ich.
Nach drei Wochen konnte ich mich endlich um Lindsey kümmern, das Programm stand und lief, er wurde zwar nicht |210| überflüssig, wahrlich nicht, aber für eine Zeit entbehrlich. Als ich mich endlich daranmachte, mit ihm zu reden, schob sich
mein verdrängtes schlechtes Gewissen, das ich wegen dieser
Sache
hatte, wieder in den Vordergrund. Ich hatte dem Collegeboy Stoff besorgt, um den Sender auf die Reihe zu bekommen, sogar noch
Frank in die Sache hineingezogen. Gut, ich hatte ihn nicht dazu gebracht, den Krempel zu nehmen. Aber ich hatte es geduldet,
sogar unterstützt, einfach damit er funktionierte. Das war nicht gut.
»Baby, ich habe keine Ahnung, wie man so was macht«, sagte ich. »Da der Sender läuft, müssen wir dein Problem in den Griff
kriegen.«
Er sah zu Boden, saß auf dem Sofa im Wohnzimmer unserer Suite, die Beine ausgestreckt und übereinandergeschlagen. Zuckte jetzt
mit den Schultern. MTV lief, obwohl er MTV haßte, mit jeder Faser seines Körpers. Die trugen seiner Meinung zumindest einen
Teil der Verantwortung für den grassierenden Verfall der Musikkultur während der letzten fünfzehn Jahre – »Videos sind aufgemotzte
Werbespots«, schimpfte er irgendwann mal, »und meistens genauso blöd wie die für Waschmittel.«
»Ich denke, es gibt zwei Möglichkeiten«, fuhr ich fort. »Die erste ist, wir schicken dich in Therapie.«
Er hob den Kopf an und sah mich an. Sein Gesichtsausdruck verriet, daß er von dieser Variante nicht sonderlich viel hielt.
»Die zweite ist: Du hörst einfach auf. Ich schließe dich hier ein, du bleibst zwei Wochen auf dem Zimmer, kämpfst das selbst
mit dir aus. Keinen Schimmer, was das für Kraft kostet; ich würde dir helfen, wo es geht.«
Lindsey blinzelte und sagte leise: »Okay. Ich schaffe das.«
»Na dann,
Collegeboy
. Wenn es nicht klappt, schicken wir dich eben danach in die Klinik.«
Er saß da, starrte wieder auf den Boden, ein Häufchen Elend, aber nur, was das Drogending betraf. Gleichzeitig |211| strahlte er Zufriedenheit aus, und das war kein
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