Radio Nights
brav voneinander abkupferten.
MarBrunn Radio
und ein paar andere, kleine feine Stationen ausgenommen.
Das war die Situation, als ich im Sommer wieder nach Berlin kam. Ich war nur Gast, dieses Mal, und ich fühlte mich auch so.
Meine Wohnung hatte ich vor langer, langer Zeit gekündigt, Gott sei’s getrommelt, meine gesammelten Radiomemorabilien waren
auf dem Müll, dort, wo sie auch hingehörten, zuvorderst die beiden
Wolfman-Jack -Aufkleber
von Fick-Scheiß-Vögler. Als ich den Taxifahrer einen Schlenker über den Marheinekeplatz machen ließ, konnte ich sehen, daß
in den Räumen des
Irish Heaven
jetzt ein koreanisches Restaurant logierte.
Wuff
.
|230| Wir wohnten im Kempi, aus sentimentalen Gründen, teilweise zumindest, vor allem aber, weil das ein wirklich nettes Hotel ist.
Wir zogen durch Kneipen, die es noch gab, und standen vor Gebäuden, in denen es mal Kneipen gegeben hatte, die wir früher
frequentiert hatten: Frank und ich. Lindsey und die anderen waren in Marbrunn geblieben, Lindsey war clean, Marbrunn unser:
Die letzten Zahlen hatten es bewiesen, überdeutlich, andere Sender waren im Landkreis vollständig ohne Bedeutung, sogar einige
Fernsehsender. Wir verhandelten mit den Ketten um die Übernahme ihrer Stationen, nicht umgekehrt, arbeiteten vorsichtig an
Konzepten für etwas Größeres, das die Vorteile des Kleinen nicht ausbremste. Charlie fuhr in Vertretung meine Nachtsendung,
was für ihn zwar Streß bedeutete, ihn gleichzeitig formte und keinen allzu großen Schaden anrichtete – eine Nachtsendung in
Marbrunn würde nie im Leben eine Reichweite haben, wie sie eine Nachtsendung in Berlin hatte. Ich telefonierte täglich eine
Botschaft an die Hörer durch und meldete mich ab und zu per Handy (der Schöpfer dieses Wortes gehört gefoltert) live aus irgendeiner
Berliner Kneipe. Frank und ich redeten viel, vor allem über Liddy, die noch immer spurlos verschwunden war. Je mehr ich von
ihr sprach, mit Lindsey, mit dem durchgedrehten, auf komische Art einfühlsamen Hagelmacher, mit Frank, um so stärker vermißte
ich sie, und das war gut so, beschloß ich. Aber es gab nicht die geringste Spur von ihr. Das war weniger gut.
Frank hatte auch ein paar Anteile gekauft, nachdem er von dem kleinen Anschlag auf mich gehört hatte. Wir schätzten, knapp
sieben-oder achtundzwanzig Prozent zu besitzen, und gehörten damit wahrscheinlich zu den größten Einzelaktionären, hatten
auf jeden Fall eine Minorität, die groß genug war, um
echte
Entscheidungen zu verhindern. Wir freuten uns auf die Aktionärsversammlung. Bis dahin blieben uns ein paar Tage; wir feierten
des Nachts auf die nette, zogen tagsüber durch die sich drastisch verändernde Stadt – |231| kein einziger Scheißradiosender trug dieser Tatsache irgendwie Rechnung – und landeten irgendwann vor dem
Your Sound
.
Das es noch gab.
Wir standen vor dem pofigen, kleinen Laden, der sich überhaupt nicht verändert hatte, einzig das Schild hatte man erneuert,
in einer Schriftart, die ein wenig an das alte Logo von
FunFun
Radio erinnerte. Natürlich gab es jetzt vor allem CDs, einige wenige Regale mit Vinyl, das konnten wir von außen sehen. Tresenaufbau
und Anordnung waren ansonsten genau gleich geblieben. Bis auf den zweiten Ladenbereich. Dort konnte man jetzt wieder Klamotten
kaufen, vor allem Merchandising-Material, T-Shirts von Bands, sogar von Radiosendern. Ich stutzte, als ich ein bestimmtes
T-Shirt im Schaufenster sah, ausgebreitet, als wäre es besonders wichtig.
»Ich dachte, wir verkaufen unseren Krempel nur selbst«, sagte ich, eher zu mir. Frank zuckte die Schultern.
»Manchmal passieren seltsame Dinge«, erklärte er weise. »Vielleicht hat das jemand gebraucht verkauft. Oder der Ladenbesitzer
war mal in Marbrunn.«
Ich lachte. »Klar, da
muß
man einfach mal gewesen sein.«
Im Laden herrschte reger Betrieb, gut ein halbes Dutzend Leute. Hinter dem Tresen stand eine Studi-Maus, die einen ziemlich
überarbeiteten Eindruck machte.
»Gehen wir rein?« fragte Frank.
Ich schüttelte den Kopf. »Wozu?« Es war sentimental genug, hier draußen zu stehen, lächelnd eine Erinnerungsrevue mitzuerleben,
und ein guter Anlaß, um in einer netten Kneipe ein Bierchen auf die alten Zeiten zu trinken.
Die Versammlung fand im ICC statt, im Internationalen Congress Center, diesem häßlichen, silberfarbenen Riesenmistkäfer, den
sie in den Siebzigern mitten in die Stadt
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