Radio Nights
Bier. Fast sogar ein viertes
Mal, leider kam Hansi mit dem Zapfen nicht hinterher. Den letzten Scotch hätte ich fast auf den Tresen gespien; Scotch konnte
ich ohnehin nicht leiden, widerlicher Seifenwhisky. Schon mal
Laphroig
getrunken? Kann man genausogut den Badewannenabfluß auslecken.
Es war lustig, verflüssigte all meine Gedanken an Vögler, Liddy, Veronika, Alicia. Zwei Songs später sangen wir
Get
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A Haircut And Get A New Job
so lauthals mit, daß Hansi wild gestikulierend um Mäßigung bitten mußte, obwohl wir inzwischen fast die letzten Gäste waren.
Rock And Roll.
Das
ist es.
Wir sangen auf dem Rückweg, Lindsey spielte Luftgitarre, schwankend, schneeblaß im Gesicht, sogar noch im Fahrstuhl, dann
teilten wir uns das Klo: Ich kotzte in die Schüssel, während Lindsey das Waschbecken beglückte. Gott sei Dank waren wir in
einem Hotel.
Im Bett dachte ich daran, wie gerne ich die Zeit zurückdrehen und als sechzehn-, siebzehnjähriger Teenie das Haus meiner Eltern
vollkotzen würde, das hatte ich nie gemacht, es hätte mich
tatsächlich
die Eier gekostet. Bei dem Gedanken daran und dem Versuch, die Hotelzimmerrotation durch Eigenbewegungen im Bett auszugleichen,
schlief ich ein.
|228| 6. Money For Nothing Sommer
1996
Die Anteile der
PowerRadio Berlin Rundfunkproduktions AG
waren durchaus kein Ladenhüter. Die Großverlage hatten ihre Ambitionen nicht völlig aufgegeben; ein reputierter, jedoch leicht
angeschlagener Sender wäre möglicherweise eine gute Ausgangsbasis für einen erneuten Versuch, vor allem, wenn man sich das
quälende Vergabeverfahren für Frequenzen ersparen konnte. Und auch die Konkurrenz dachte sich ihren Teil.
Boulevard II oder HipPop Adult
waren sicherlich Programmkonzepte und Ideen, die durch den einen oder anderen Programmchefschädel geisterten; glücklicherweise
ging es
allen
Berliner Sendern nicht so gut, daß sie sich große Sprünge mit ungewisser Landefläche erlauben konnten. Der Markt hatte sich
weiter verdichtet, wie man so schön sagt, und die Goldgräberzeiten waren passé. Die ersten Spartenprogramme belegten terrestrische
Frequenzen und versuchten sich mit reinem Nachrichtenradio, Programmen für die »ausländischen Mitbürger« (ja,
was
denn nun?), Jazz-, Klassik-, Softpop-und Volksmusikradio – ja, sogar das. Bei manch einem Programm hatte die Frage Sinn,
wer das hörte oder finanzierte, was konnte man in einem Volksmusikprogramm schon für Werbung schalten, außer für
Tai Ginseng
und Inkontinenzbinden, die Taxifahrer jedoch, wie immer sichere Indikatoren, gehörten zweifelsfrei zur Gruppe derjenigen,
die berufsbedingt den ganzen Tag Radio hören mußten (weil die CD-Wechsler intelligenterweise im Kofferraum eingebaut waren,
noch so eine bescheuerte Idee, wahrscheinlich von dem gleichen Typen, der sich gläserne Studios ausgedacht hatte), schalteten
auf das Jazzprogramm, hörten, an den Taxiständen wartend, Klassik, seichten Kuschelrock ohne gehaltlose Moderationen, Hauptsache,
nicht den ganzen Tag über andauernd die gleichen Titel, wochenlang, und diese
Nullköpfe
, diese Ansageroboter, zwischen |229| Jingles, die inzwischen bundesweit identisch klangen: Die besten Hits von dannundwann, und natürlich das Allergenialste von
heute, Achtziger und Siebziger sowieso, tralala, auch egal, haben wir den Sommerhit heute erst fünfzehn-oder schon fünfzigmal
gespielt? Eigentlich hätte man mehrere hundert Sender total gleichschalten können: Das Medium hatte sich selbst ausgeknockt,
die Angst, von der vermeintlich sicheren schnurgeraden Schiene auf etwas zu wechseln, von dem man kaum mehr wußte, wie es
überhaupt
geht, hatte allen Sendern die gleiche Konfektionsgröße verpaßt: H&M-Radio, Ikea-Funk. Ein paar öffentlich-rechtliche
versuchten sich an neuen Konzepten, die hatten auch nur zu gewinnen, gewannen interessanterweise
tatsächlich
, allerdings nur gelegentlich: Radio zum Zuhören, zum Mitdenken, mit einer Musikauswahl, wie wir sie in netterer Form auch
bei
MBR
hatten, und das war schon echt absurd, oder? Während fast alle privaten
Nutella-, Nusspli -
oder meinetwegen auch
Schokiaufbroti-Radio
machten, versuchten sich die öffentlich-rechtlichen, die man vor Jahren eigentlich völlig aus dem Markt wähnte, weil die Hörer
vom kulturell nivellierenden Familienganztagsradio zum Privatfunk wechselten, an Konzepten, die deutlich hörerorientierter
waren als die Bravo-Hits-Schiene, die alle privaten
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