Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
hätte ich wohl keine Chance, A566 zu finden.
Sein Zimmer befindet sich am Ende des Flurs. Komischerweise bin ich froh darüber, dass er soweit wie möglich weg von mir wohnt.
Schüchtern klopfe ich gegen seine Tür. Ich warte unruhig, doch nichts passiert. Schläft er vielleicht schon? Ich will es gerade noch einmal probieren, da gleitet die Tür auf und A566 steht in seinem weißen Legionsführeranzug vor mir.
„ Ich habe mich schon gefragt, wann du kommst“, sagt er triumphierend.
Ich weiß nicht genau, was er meint, aber versuche erst gar nicht, darauf einzugehen. „Ich würde gerne dein Angebot annehmen. Kannst du mich bitte auf die Krankenstation bringen?“
„ Natürlich. Ich bin immer für dich da. Das weißt du doch, oder?“, antwortet er grinsend und tritt zu mir hinaus auf den Flur. Seine Worte sind freundlich und er könnte mir nicht hilfsbereiter gegenübertreten, und trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass etwas mit ihm nicht stimmt.
Gemeinsam schreiten wir den Flur entlang und betreten die Aufzüge. Ich weiß, dass ich mir mit dieser Aktion jede Chance verbaue, bald selbst die Erlaubnis zu erhalten, den Aufzug zu bedienen, aber ich kann einfach nicht länger warten. Ich muss zu Finn.
Obwohl die Aufzugkabine groß genug für dreißig Menschen wäre, stellt A566 sich direkt vor mich, als die Türen sich schließen. Ich kann seinen Atem erneut auf meinem Gesicht spüren.
„ Würdest du das hier bitte für dich behalten?“, frage ich ihn und muss dabei leicht zu ihm emporblicken.
Er beginnt wieder zu grinsen. „Aber natürlich. Ich würde doch ebenfalls Probleme bekommen, wenn rauskommt, dass ich dich verbotenerweise in die Krankenstation bringe.“
„ Vielen Dank dafür. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich gemacht hätte.“
„ Merk es dir und denk daran, du bist mir dafür etwas schuldig. Aber es ist am Besten, wenn das unser kleines Geheimnis bleibt.“
Die Aufzugtüren öffnen sich und ich trete erleichtert hinaus in das Atrium. Schnell atme ich tief ein, denn immer, wenn A566 in meiner Nähe ist, beginne ich, die Luft anzuhalten.
Rechts von dem Aufzug befinden sich die Türen zur Krankenstation. A566 braucht auch hier nur seinen Daumen auf den Scanner zu legen, um sie wie von Zauberhand zu öffnen. Eilig laufen wir den Flur entlang und zu spät fällt mir ein, dass Clyde nachts Wache bei Zoe hält. Ich erinnere mich erst daran, als wir praktisch vor ihm stehen. Verwirrt blickt er mir entgegen, doch ich versuche, so zu tun, als wäre er nur einer von vielen. A566 soll nicht auch noch über meinen Kontakt zu ihm Bescheid wissen.
Clyde blickt uns fragend nach, als wir an ihm vorbeigehen und A566 ein paar Türen weiter stehen bleibt, um die Tür vor sich zu öffnen.
Sobald ich Finn sehe, ist jeder andere Gedanke vergessen. Er ist nach wie vor gefesselt, doch dieses Mal nur an den Händen und Beinen. Er trägt einen braunen Zweiteiler, der für die männlichen Bewohner der Sicherheitszone als Schlafanzug dient. Seine wunderschönes, honigblondes Haar wurde ihm abrasiert, sodass sein Schädel genauso kahl in dem kalten Licht der Beleuchtung glänzt wie der von A566.
Finns Augen sind geschlossen und seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Selbst im Schlaf ist ihm der Kampf noch anzusehen.
Vorsichtig setze ich mich auf den Rand der Liege und streichele fürsorglich über Finns Wange. War es die richtige Entscheidung, ihm seine Erinnerung zu nehmen? Hätte ich ihn lieber sterben lassen sollen? Aber dafür war ich zu egoistisch. Ich kann ihn nicht gehen lassen. Noch nicht. Unsere Liebe hat doch gerade erst begonnen.
Wie selbstverständlich gleitet meine Hand in die seine. Sie ist immer noch rau und von Schwielen als Zeichen seiner harten Arbeit übersät. Wenigstens das ist ihm geblieben. Vielleicht werden seine Hände ihm dabei helfen, sich zu erinnern. Ich könnte ewig bei ihm sitzen und ihn einfach nur betrachten. Selbst A566 kann ich dabei vollkommen ausblenden. Doch plötzlich regt sich etwas in Finns Gesicht. Seine Augenlider beginnen, leicht zu flackern, und seine Hand zuckt für einen kurzen Moment zusammen. Er kommt zu sich.
Ich beuge mich zu ihm vor und blicke gespannt auf sein Gesicht hinab. Als er die Augen öffnet, stoße ich erschrocken Luft aus. Seine Augen waren zwar schon immer blau, aber jetzt sind sie in dem typischen Lichtblau der Legion gefärbt. Ihnen fehlen die wilden Sprenkel, die Finn so lebendig wirken ließen. Aber nicht nur die
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