Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
Legionsführern erneut den Rücken zu und blicke zu Finn, der nicht aufhört, sich gegen seine Fesseln zu wehren. Selbst wenn sie ihm beide Beine und beide Arme brechen würden, würde er nicht aufhören, gegen sie anzukämpfen. Ich weiß, welche Entscheidung er treffen würde, wenn er die Chance dazu hätte. Lieber würde er sterben, als ein Teil der Legion zu werden. Niemals würde er sich freiwillig seine Erinnerungen rauben lassen. Sie sind das, was ihn auszeichnen. Ohne sie wäre er nur noch eine leere Hülle.
Aber ich bin nicht Finn. Und es ist auch nicht seine Entscheidung, sondern meine. „Lasst ihn vergessen.“
„ Ich wusste doch, dass ihr mein Vorschlag gefällt“, verkündet A566 triumphierend.
„ Aber vorher will ich ihn noch einmal sehen. Ohne Glas.“
A566 zuckt mit den Schultern. „Mir soll es recht sein. Er wird sich ohnehin nach der Operation nicht mehr daran erinnern.“
Auch die anderen Legionsführer haben nichts dagegen, sodass sie mir den Zutritt in den Operationssaal gewähren. Sobald sich Finns Augen auf mich richten, sehe ich, wie etwas in ihnen erlischt. Fort ist die Liebe, die er einst für mich empfunden hat. Ausgelöscht von dem weißen Anzug, den ich an meinem Körper trage. Aber war nicht genau das meine Aufgabe?
Ich knie mich neben ihn, sodass wir auf einer Augenhöhe sind, ungeachtet der Menschen um uns herum. Sein Kopf ist so fest fixiert, dass er sich nicht zu mir drehen kann, um mich anzublicken. Doch ich weiß, dass, selbst wenn er es könnte, er es nicht tun würde. Zu tief sitzt seine Enttäuschung.
Ich beuge mich zu ihm vor und flüstere ihm meine Abschiedsworte in sein Ohr: „Vergiss mich nicht.“
08. Gefährliches Vertrauen
Ungehalten laufe ich in meinem Zimmer auf und ab, während das seichte Licht des Mondes sanft durch die großen Fenster fällt. Doch für seine Schönheit habe ich nicht einen Blick übrig. Der Einzige, der mich im Moment interessiert, ist Finn. Ich wollte bei ihm bleiben, bis er wieder aufwacht, aber die anderen Legionsführer haben es mir verboten. Allein der Gedanke, wie Finn einsam und alleine in einer der kalten Krankenzellen zu sich kommt, zerreißt mir das Herz. Ich weiß noch genau, wie ich mich gefühlt habe, als ich mit dem Blick an die kalte, graue Decke erwacht bin. Doch bei ihm wird es noch tausendfach schlimmer sein, denn wenn es stimmt, was die anderen sagen, wird er sich an nichts aus seinem vorherigen Leben mehr erinnern können. Das Erste, was er in seinem ‚neuen’ Leben sieht, soll deshalb nicht eine kalte Decke sein. Ich möchte bei ihm sein und seine Hand halten. Ich möchte seinen Kopf in meinen Schoß legen und ihm sanfte Worte ins Ohr flüstern. Das Erste, was er sieht, soll mein Gesicht sein. Und vielleicht wird er sich dann sogar erinnern. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Wir haben zu viel erlebt, um es ihn durch eine einzige Operation vergessen zu lassen.
Niemand konnte mir sagen, wie lange es dauern wird, bis er wieder zu sich kommt. Vielleicht ist er schon längst wach, aber vielleicht dauert es auch noch Stunden oder es sind nur noch wenige Minuten. Die nächste Untersuchung ist erst für den Morgen angesetzt. Dort werden sie sein Gehirn auf seine Reaktionsfähigkeit testen. Denn es ist sogar möglich, dass bei der Operation etwas schiefgelaufen ist und er nun nur noch beschränkt fähig zum Denken ist. Das wäre für mich das Schlimmste, aber daran versuche ich erst gar nicht zu denken.
Ich weiß, dass es eine Möglichkeit gibt, bei ihm zu sein. Ich wusste es schon in der Sekunde, in der sie mir verbaten, bei ihm zu bleiben. Doch es ist riskant. Es setzt Vertrauen in eine Person voraus, die ich weder besonders gut kenne noch leiden kann: A566. Sein Angebot steht nach wie vor und er ist derjenige, der Finn das Leben gerettet hat. Aber was wird er für den Gefallen von mir verlangen? Wird es mir zum Verhängnis werden, wenn er sieht, wie viel Finn mir bedeutet? Aber wahrscheinlich weiß er es ohnehin schon, so wie alle Legionsführer. Dadurch habe ich mich angreifbar gemacht. Sie kennen nun meine Schwachstelle. Wann immer sie mich ruhig halten wollen, werden sie nun Finn benutzen, um mich unter Druck zu setzen.
Obwohl ich mich unwohl dabei fühle, muss ich das Risiko eingehen. Also öffne ich meine Tür und trete in den schwach beleuchteten Flur hinaus. Leise laufe ich den Flur entlang und orientiere mich an den Türschildern. Zum Glück ist auf jedem die Bezeichnung des Bewohners vermerkt, sonst
Weitere Kostenlose Bücher