Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
Mikrophon zu entreißen.
Mit erhobenem Kopf fahre ich fort: „Das Atrium ist der einzige Ort in der Sicherheitszone, an dem alle Menschen zusammenkommen. Es ist der einzige Ort, an dem wir wirklich alle gleich sind.“
Schlagartig stelle ich eine Veränderung in den Gesichtern der Bewohner fest. Ihre Augen sind ungläubig aufgerissen. Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass dies nicht an meinen Worten liegt, sondern an dem, was hinter mir passiert. Sieben der Legionsführer verlassen hektisch die Bühne und eilen zurück zu dem Aufzug. Unter ihnen auch A350 und A566. Was ist passiert? Die restlichen zwei Legionsführer bleiben zwar hinter mir stehen, doch lauschen sie wie gebannt dem Knopf in ihrem Ohr. Noch etwas, das mich von ihnen unterscheidet. Die anderen Legionsführer tragen alle eine Art Mikrochip hinter der Ohrmuschel, der ihnen jederzeit erlaubt, miteinander zu kommunizieren. Ich beneide sie nicht unbedingt um diesen Eingriff in den eigenen Körper, aber ich wüsste gerne, was ihre Unruhe verursacht. Sie wirken richtig panisch, das habe ich zuvor noch nie erlebt. Genauso wenig wie die Menschen vor mir.
„ Fahr fort, aber beeile dich“, befiehlt mir einer der verbleibenden Führer. Offensichtlich ist das, was außerhalb der Sicherheitszone gerade passiert, wichtiger als alles, was ich den Menschen hier unten sagen könnte.
Ich versuche, mich zu konzentrieren, doch es fällt mir schwer, den roten Faden wiederzufinden.
„ Das Atrium soll von heute an ein Ort der Zusammenkunft sein. Ein Ort der Gemeinschaft.“
Ich merke, dass es mir nicht gelingt, erneut die Aufmerksamkeit meiner Zuhörer auf mich zu ziehen. Die plötzliche Flucht der anderen hat sie verängstigt. Trotzdem beende ich tapfer meine Rede.
„ Deshalb wird die Nahrungsvergabe ab sofort für alle Bewohner der Sicherheitszone hier stattfinden."
Auf mein Kommando hin lösen zwei der Kämpfer die Abdeckungen der Schalter, sodass alle sie nun sehen können. Aber ein überraschtes Jubeln oder wenigstens ein neugieriger Blick bleibt aus. Zwar nehmen die Menschen die Veränderung zur Kenntnis, doch sind sie mit ihren Gedanken woanders.
Drei D-ler der Nahrungsvergabe nehmen ihre Plätze an den neuen Schaltern ein.
„ Hiermit eröffne ich die neue Art der Nahrungszuteilung. Stellt euch bitte in geordneten Reihen an, um eure Ration zu erhalten.“
Die Menschen gehorchen sofort, doch ich habe auch nichts anderes erwartet. Gerade in einer unbekannten Situation wie dieser sind Befehle das einzige, was sie beruhigt. Solange man ihnen sagt, was sie tun sollen, haben sie das Gefühl, dass weiterhin alles unter Kontrolle ist.
Während meine Rede sich am Anfang so gut entwickelte, bin ich über ihren Ausgang einfach nur enttäuscht. Ich wollte etwas bewegen, aber stattdessen habe ich die Menschen nur zusätzlich beunruhigt. Die beiden anderen Legionsführer geben mir ein Zeichen, dass es nun Zeit ist zu gehen. Sie haben es eilig. Was ist denn nur los?
Ich suche ein letztes Mal den Blick von Clyde. Weiß er vielleicht mehr? Doch er blickt mir genauso fragend entgegen wie ich ihm. Ich muss ihn und Zoe sobald wie möglich besuchen. Wir müssen reden.
Kaum, dass sich die Aufzugtüren schließen, platze ich mit meiner Frage heraus: „Was ist passiert?“
„ Es gab einen Angriff.“
Geschockt reiße ich meine Augen auf. „Wie viele waren es?“
„ Nur einer.“
Mein Herz bleibt für den Bruchteil einer Sekunde stehen und ich ringe nach Atem. Finn.
Sobald sich die Türen des Aufzugs öffnen, sehe ich auch schon die gebrochene Scheibe. Glassplitter liegen auf dem grauen Boden davor verstreut und reflektieren das Licht der Sonne. Sie funkeln wie Diamanten. Wie kann etwas so Schreckliches nur gleichzeitig so wunderschön sein?
„ Er hat sich eine Art Schleuder gebaut und damit auf uns geschossen. Immer und immer wieder. Solange, bis das Glas brach.“
Die Worte des Legionsführers rauschen an mir vorbei. Was hat sich Finn dabei nur gedacht? Hat er wirklich geglaubt, er könne seine Schwester im Alleingang retten? Hat er geglaubt, er könne mich retten? Was war sein Plan? Mit Steinen zu werfen, während Laserstrahlen seinen Körper durchlöchern? Verdammter Idiot! Wie konntest du nur?
„ Was ist mit ihm passiert?“
Ich habe mehr Angst vor der Antwort als je vor irgendetwas zuvor. Ein einziges Wort könnte mein Leben für immer verändern. Denn dann hätte ich das verloren, was mein Leben lebenswert gemacht hat, mein Licht am
Weitere Kostenlose Bücher