Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
gefangen wäre. Mein unerlaubtes Betreten der Sicherheitszone würde so auf jeden Fall bemerkt werden. Das weiß er auch. Er glaubt, mich damit erpressen zu können. Aber ich hoffe, dass er genauso weiß, dass jedem Legionsführer klar wäre, dass ich nicht ohne fremde Hilfe in die Sicherheitszone gekommen sein kann. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich ihn wirklich verraten würde, denn immerhin hat er mir bereits mehr als einmal geholfen, aber auch A566 kann sich meines Schweigens nicht sicher sein.
Ohne ihn weiter zu beachten, trete ich in das Zimmer von Finn ein. Er liegt auf seinem Bett und schläft, so wie alle Bewohner der Sicherheitszone. Sie haben keine Kontrolle über ihren Schlaf, da selbst das die Legion für sie regelt.
Ich trete erst näher, als ich höre, wie die Tür hinter mir leise zugleitet. Vorsichtig setze ich mich neben Finn auf das Bett und beobachte sein Gesicht. Mir fehlt sein blondes, welliges Haar. Es gab seinem Gesicht so etwas Weiches und Verletzliches. Zwar war Finn schon immer stark und meistens auch grimmig, aber seine Haare waren oft der Hinweis auf seinen verletzlichen Kern.
Auch bei den Rebellen habe ich ihn ab und zu beim Schlafen beobachtet. Dort wirkte er immer friedlich, wenn er nicht gerade einen Albtraum hatte, was leider häufig vorkam. Doch hier in der Sicherheitszone ist sein Gesicht wie erstarrt, so als hätte man es in Eis eingefroren. Er sieht weder glücklich noch traurig aus, sondern mehr wie eine Maschine, ohne jedes menschliche Gefühl.
Zärtlich streiche ich ihm über die Wange. Ich weiß, dass er davon nicht aufwachen wird. Doch er scheint meine Berührung nicht einmal zu spüren. Sein Gesicht bleibt weiterhin ausdruckslos. Wenn ich ihn wecke, wird er mich wahrscheinlich wieder aufgebracht davonjagen, aber mir bleibt nichts anderes übrig, wenn ich ihn erreichen will.
Also beginne ich, ihn an seinen Schultern zu rütteln, erst leicht, dann immer fester, bis er endlich erschrocken die Augen aufreißt.
Er schnappt nach Luft und sieht sich panisch im Zimmer um. Als er sieht, dass außer meiner Anwesenheit alles in Ordnung ist, reagiert er, wie ich es bereits befürchtet habe. Seine Augen richten sich voller Wut auf mich und er rückt sofort ein Stück von mir weg.
„ Du schon wieder“, stößt er fast hasserfüllt aus. „Kannst du mich nicht einmal in der Nacht in Ruhe lassen?“
„ Es tut mir leid, ich wollte deinen Schlaf nicht stören...“
Er lässt mich nicht ausreden und unterbricht mich abrupt: „Dann geh doch einfach wieder!“
„ Ich möchte dir nur etwas erzählen, das ist alles“, versuche ich ihm so sachlich wie möglich zu erklären. Es tut weh, wie er mit mir spricht und mich dabei ansieht. Doch es ist nicht so, als wäre ich es nicht gewöhnt. Genau so habe ich ihn kennengelernt und mich trotzdem in ihn verliebt. Ich weiß, dass unter seiner harten Schale ein weicher Kern steckt.
„ Ich will deine Geschichten aber nicht hören. Sie sind alle frei erfunden und nichts als Lügen!“
„ Du musst nicht glauben, was ich dir erzähle. Aber du könntest es dir wenigstens anhören“, bitte ich ihn. Erst sieht es so aus, als würde er mir sofort eine weitere Abfuhr erteilen, doch dann stößt er genervt Luft aus.
„ Du gibst ohnehin nicht auf, bis ich es mir angehört habe, oder?“
Ich lächle ihm entgegen. „Du kennst mich gut.“
Er erwidert mein Lächeln nicht einmal für eine Sekunde. „Fang einfach an, damit ich es schnell hinter mir habe.“
Ich atme tief ein und aus, um mich von seinen verletzenden Worten nicht treffen zu lassen. „Ich möchte dir von unserem Abschied erzählen.“
Er zuckt desinteressiert mit den Schultern. „Es ist mir völlig gleich, solange du danach gehst.“
„ Es ist erst wenige Wochen her. Wir haben an dem Abend mit den anderen Rebellen gefeiert. Alle waren da. Der alte Gustav hat Schallplatten auf einem Grammophon gespielt und seiner Frau Marie dabei zärtlich über die Wange gestreichelt. Maries weißes Haar wehte sachte in dem lauen Abendwind. Florance hatte sich an Paul gelehnt, sodass ihr goldenes Haar über seine starken Schultern fiel. Neben ihnen saß Pep, der den Blick in die Sterne gerichtet hatte, weil der Verlust seines Zwillingsbruders Jep noch zu frisch war. Grace, die beste Freundin deiner Mutter, saß mit ihrer Tochter Emily und meiner kleinen Schwester Iris dicht am Lagerfeuer und hat Fleisch gegrillt. Und wir beide...“
Ich beobachte Finns Gesicht. Er hört mir zwar zu, aber
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