Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
nichts von dem, was ich sage, scheint irgendeine Wirkung auf ihn zu haben. Für ihn sind es nur leere Worte.
„ Wir haben getanzt. Es war der erste und vorerst letzte Tanz in meinem Leben. Ich wusste nicht, wie man sich bewegt, aber du hast es mir gezeigt. Beim Tanzen gibt es kein richtig oder falsch. Wichtig ist nur, dass man die Musik spürt und sich zu ihr bewegt. Erinnerst du dich an die Musik?“
„ Nein“, schießt es mir prompt abweisend entgegen. Er interessiert sich nicht einmal dafür. Asha wäre von meinen Worten beeindruckt gewesen und hätte alles über Musik und Tanzen wissen wollen. Selbst ein Lagerfeuer hätte sie schon beeindruckend gefunden. Doch Finn will mich nur so schnell wie möglich loswerden.
Trotzdem beginne ich leise, ihm die Melodie des Grammophons vorzusummen. Es waren traurige Töne. Traurig, aber trotzdem schön. Ich erinnere mich noch genau daran. Genau diese Melodie lief immer weiter durch meinen Kopf, während ich die ersten Tage in der Zelle auf der Krankenstation verbracht habe. Sie haben mir Hoffnung darauf gegeben, Finn irgendwann einmal wieder nah sein zu können. Obwohl ich jetzt direkt neben ihm sitze, erscheint er mir weiter weg als je zuvor.
„ Hör auf damit!“, unterbricht er mich plötzlich aufgebracht. „Ich will das nicht hören.“ Wie zur Bekräftigung legt er sich die Hände über die Ohren. Erst als ich aufhöre, nimmt er sie wieder herunter. „Du wolltest mir etwas erzählen und nicht komische Geräusche von dir geben.“
„ In Ordnung“, seufze ich. Es erscheint mir fast, als wolle er sich gar nicht erinnern. Alles, was irgendetwas bei ihm auslösen könnte, weist er strikt von sich, so als hätte er Angst vor seiner eigenen Erinnerung.
„ In dieser Nacht bin ich zurück in die Legion gegangen. Du warst der Einzige, der mich begleitet hat. Du kennst die Wüste so gut wie kein anderer. Du hast den Weg selbst im schwachen Licht der Sterne und des Mondes gefunden, während ich blind neben dir hergestolpert bin. Aber wenn du meine Hand in deine genommen hast, habe ich mich sicher gefühlt. Als wir die hell erleuchtete Kugel der Legionsführer erreicht haben, habe ich mir nichts mehr gewünscht, als dass du mich bittest, bei dir zu bleiben. Ich wollte dich nicht verlassen und ich wollte auch nicht zurück in die Legion. Du hast mich in deine Arme geschlossen und ich erinnere mich noch genau an meine letzten Worte, so als hätte ich sie erst heute zu dir gesagt.“
Ich spüre, wie die Tränen in meinen Augen zu brennen beginnen. Ich will nicht weinen. Es würde Finn verschrecken, doch zum ersten Mal scheine ich wirklich sein Interesse geweckt zu haben, auch wenn er es zu verstecken versucht.
„ Was hast du zu mir gesagt?“, fragt er gelangweilt.
„ Vergiss mich nicht“, flüstere ich leise, wobei meine Stimme wie Espenlaub zittert. Für einen Moment begegnen sich unsere Blicke und ich habe das Gefühl, für einen winzigen Augenblick den alten Finn in seinen Augen zu sehen. Er ist nicht länger abweisend und kalt, sondern nur erschöpft. Vielleicht tue ich ihm sogar leid. Die Legion muss ihm eingebläut haben, dass Tränen ein Zeichen von Schwäche sind.
Er räuspert sich etwas verlegen. „War es das jetzt?“ Auch wenn seine Worte gemein klingen, ist sein Tonfall bei weitem nicht mehr so schneidend wie am Anfang.
„ Fast“, entgegne ich. „Das Wichtigste kommt noch. Du hast etwas zu mir gesagt, was ich niemals vergessen werde.“
„ Was habe ich gesagt?“, fragt er nach und dieses Mal glaube ich wirklich Neugierde aus seiner Stimme herauszuhören.
„ Vielleicht kannst du deine Gefühle zurückhalten, aber ich kann es nicht und ich will es auch nicht.“
Seine Stimme und sein Körper waren damals voller Kraft und Leidenschaft. Ich hingegen bin schwach und unsicher. Trotzdem tue ich genau das, was er damals getan hat. Ich beuge mich zu Finns Gesicht vor. Ganz langsam, um ihn nicht zu verschrecken. Das Erstaunliche daran ist, dass er nicht einmal zurückweicht. Er wirkt nur irritiert, aber wehrt sich nicht gegen meine Nähe. Ich suche Sicherheit in seinen Augen, ohne welche zu finden. Deshalb schließe ich meine Augen und lege meine Lippen auf seine. Der Kuss ist vollkommen anders als damals in der Wüste. Wir waren verzweifelt und hatten Angst, einander niemals wiederzusehen. Jetzt ist er zart wie der Flügelschlag eines Schmetterlings und so zerbrechlich wie feinstes Glas. Trotzdem spüre ich sofort, wie Wärme, einem Buschfeuer gleich,
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