Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
durch meinen Körper zieht. Jede Faser meiner Haut scheint wie elektrisiert. Ich möchte die Zeit anhalten und für immer so verweilen. Doch der Moment ist von so kurzer Dauer und die Erkenntnis kommt wie ein Faustschlag.
Finn stößt mich so plötzlich und so kraftvoll von sich, dass ich vor ihm auf dem Boden lande. Er starrt mich entsetzt an, bis die Wut in seine Augen zurückkehrt. „Was soll das?“, schimpft er aufgebracht und hält sich mit beiden Händen den Kopf, so als habe er Angst, er würde jeden Moment explodieren.
„ Ich wollte nur, dass du dich erinnerst“, jammere ich verzweifelt und richte mich langsam wieder auf.
„ Ich will mich nicht erinnern. Kapierst du das nicht?“, schreit er mir entgegen. „Verschwinde endlich!“
Ich kann nicht anders, als den Tränen freien Lauf zu lassen, und drehe mich um. Die Tür ist bereits geöffnet und A566 steht wartend darin. Ich weiß nicht, wie lange er dort schon so steht und wie viel er von unserem Gespräch mitbekommen hat, aber es ist mir auch egal. Zum ersten Mal seit langer Zeit möchte ich einfach nur noch weg von Finn. Ich kann ihn nicht länger ansehen. Es ist, als würde man mir vor Augen halten, was ich verloren habe.
Ich stürze an A566 vorbei und renne förmlich zum Aufzug. A566 ist direkt hinter mir, denn er öffnet ihn sofort, und ich flüchte mich in das Innere wie in eine Schutzkammer, die mich vor all meinen Ängsten und Sorgen abschirmt. Erst als die Türen sich schließen, wage ich auszuatmen. Warum musste ich Finn auch küssen? Er fing gerade an mir zuzuhören und ich habe alles kaputt gemacht. Was habe ich mir davon erwartet? Dass er sich plötzlich erinnert wie in einem von Maries albernen Kindermärchen? Ich wusste, dass es zu früh war. Ich wusste es selbst, als ich meine Lippen auf seine legte, und trotzdem konnte ich es nicht verhindern. Ich habe mich so sehr nach seiner Nähe gesehnt. Unsere Beziehung hatte doch gerade erst begonnen. Sie kann doch nicht schon vorbei sein, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat.
Wieder einmal bin ich so von meinen eigenen Gedanken und Gefühlen überwältigt, dass ich erst jetzt bemerke, dass der Aufzug stehen geblieben ist. Wir befinden uns in der gläsernen Röhre, die die Sicherheitszone mit der Kugel der Legionsführer verbindet. Unter uns liegt die rote Wüste in Dunkelheit, während über uns der Sternenhimmel thront. Fragend blicke ich zu A566. „Warum haben wir angehalten?“
Er mustert mich kritisch, so als hätte ich ein Verbrechen begangen. „Es wird Zeit, dass du deine Schulden begleichst.“
Seine Stimme ist leise, aber gefährlich. So wie das Knurren eines Raubtieres. Ich weiß nicht, was er damit meint, aber empfinde plötzlich die kleine Kammer des Aufzugs als zu eng für uns beide. Ich weiche vor ihm zurück an das andere Ende des Aufzugs, trotzdem trennen uns nur wenige Schritte voneinander. Er lässt mich keinen Moment aus den Augen, wie eine Schlange, kurz bevor sie zum Angriff ansetzt.
„ Können wir darüber nicht außerhalb des Aufzugs reden? Ich fühle mich hier in der Luft schwebend nicht wohl“, bitte ich ihn und versuche dabei, meine Angst zu verstecken.
Er tritt einen Schritt auf mich zu und ich muss mich beherrschen, nicht zu Boden zu sinken, um mich vor ihm zu verstecken. Stattdessen straffe ich meine Schultern und tue so, als hätte ich weiterhin kein Problem mit seiner Nähe. „Die Zeit zum Reden ist vorbei, jetzt folgen Taten“, erklärt er mir sachlich. Seine Augen sind jedoch vollkommen auf mich fixiert. Ich spüre, wie mir kalter Schweiß den Rücken hinabrinnt und mein Hals trocken wird, sodass ich schlucken muss, um nicht zu husten.
„ Von welchen Taten sprichst du? Soll ich dir bei irgendetwas helfen?“
Er lächelt mich geringschätzig an. „Du tust immer so stark und überlegen, dabei bist du in Wirklichkeit nur ein naives, kleines Mädchen. Ich habe dich vom ersten Tag an durchschaut“, gesteht er mir und tritt noch näher auf mich zu, sodass nur noch ein Schritt zwischen uns liegt.
„ Ich habe nie behauptet, dass ich irgendjemandem überlegen wäre. Es tut mir leid, wenn du das so empfunden hast. Ich wollte nie...“
Seine Hand knallt neben meinem Kopf gegen die Aufzugwand und lässt mich erschrocken aufschreien. „Ich habe genug von deinen ganzen Reden. Du glaubst, du könntest die Menschen mit deinen schönen Worten um den kleinen Finger wickeln, aber der Trick zieht bei mir nicht“, zischt er mir entgegen. Dabei ist sein
Weitere Kostenlose Bücher