Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
Männer teilnehmen. Es dient demselben Zweck wie die Leistungstests. Die besten Paarungen sollen so herausgefunden werden. Über die Paarung selber weiß ich jedoch nur wenig. Allein bei dem Gedanken daran huschen die schrecklichen Bilder der Vergewaltigung aus dem Bildungsunterricht durch meinen Kopf und das falsche Grinsen von A566 schiebt sich vor mein inneres Auge. Florance beschrieb es jedoch als wunderschön. Bei beidem handelt es sich um Sex. Eine Art der Fortpflanzung, die mit der alten Erde untergegangen ist. In der Legion gibt es keinen Sex, also muss die Fortpflanzung bei uns anders funktionieren.
„ Was genau passiert bei der Paarung?“
„ Die Paarung beginnt mit den Paarungskämpfen. Dabei treten die Männer jeder Generation gegeneinander an, um so eine Rangfolge aufstellen zu können. Bei den Frauen gibt es auch eine Rangfolge, jedoch wird diese ohne Kämpfe festgelegt. Die Ärzte untersuchen zuvor ihren Körper und die Klassifizierung spielt dabei eine große Rolle. Demnach wirst du sehr weit oben in der Rangfolge stehen, wenn nicht an erster Stelle. Aber die Rangfolge der Frauen bleibt natürlich stets geheim. Nach den Kämpfen werden die Frauen mit den ranggleichen Männern gepaart. Jedoch ohne jeglichen Körperkontakt. Der Samen des Mannes wird von einem Arzt entnommen und der Frau eingesetzt. Man bezeichnet diesen Vorgang als künstliche Befruchtung. Die Frauen sind während der Schwangerschaft von ihren Aufgaben befreit, um so den Schutz des Ungeborenen zu gewährleisten. Nach neun Monaten werden alle Kinder zeitnah zur Welt gebracht und kommen auf die Neugeborenenstation.“
„ Dürfen die Frauen ihr Kind nicht einmal sehen?“
A350 schüttelt sofort energisch den Kopf. „Nein! Wenn keine Frau weiß, welches der Kinder ihr eigenes ist, wird sie alle so beschützen, als wäre jedes von ihnen ihr Kind. Sie kann nie wissen, welches es wirklich ist.“
Ich erinnere mich sofort an die Aufzeichnungen, von denen sie zuvor gesprochen hat. Dort ist sicher vermerkt, wer wessen Kind ist. A350 ist schon lange Legionsführerin. Kennt sie die Aufzeichnungen? Weiß sie, wer ihre Kinder sind? Könnte ich ihre Tochter sein? Ich möchte den Gedanken nicht zulassen. Ich mag A350, sehr sogar. Aber wäre sie meine Mutter, würde ich sie mit anderen Augen sehen. Ich würde mich von ihr im Stich gelassen fühlen.
„ Und was ist, wenn eine Frau gar kein Kind bekommen möchte?“
„ Sie hat keine Wahl. Der Fortbestand der Legion ist entscheidend.“
„ Aber vielleicht würde eine andere Frau gerne mehr als zwei Kinder bekommen, somit wäre doch der Bestand trotzdem gesichert.“
„ Jede Frau kann pro Paarung nur ein Kind bekommen und sie kann nur an zwei Paarungen teilnehmen, da sie sonst zu alt ist.“
„ Aber was wäre, wenn es gar keine Paarung mehr gäbe, sondern eine Frau jederzeit befruchtet werden könnte, so wie sie es möchte?“
„ Die Entscheidung liegt nicht bei den Bewohnern der Sicherheitszone“, antwortet mir A350 entrüstet.
„ Das sollte sie aber“, entgegne ich A350 hart. „Jeder Mensch sollte das Recht haben, frei über seinen Körper entscheiden zu dürfen.“
„ Aber die Legion hat die Kontrolle. Wenn sie die Menschen frei entscheiden lassen würde, könnte sie die Population nicht länger steuern.“
„ Vielleicht sollte die Legion einfach darauf vertrauen, dass die Menschen auch ohne die Kontrolle der Legion daran interessiert sind, ihren Fortbestand zu sichern.“
A350 kneift die Augen zusammen und blickt mich resigniert an. „Ich nehme an, du wirst dich den Regeln nicht fügen, sondern gegen sie debattieren.“
An der Art, wie sie es sagt, merke ich, dass sie nichts anderes von mir erwartet hat. Mittlerweile kennt sie mich wirklich gut. „Es geht dabei nicht nur um mich, sondern um alle Frauen. Wir sollten frei entscheiden dürfen.“
„ Diese Entscheidung liegt nicht in meiner Hand. Aber ich werde eine Konferenz einberufen, in der du versuchen kannst, die anderen zu überzeugen.“
Am Nachmittag, kurz vor der abendlichen Nahrungsvergabe, laufe ich durch die verwinkelten Korridore der Krankenstation. Hier gleicht ein Flur dem anderen. Die Zelle von Zoe lag bereits kurz hinter dem Eingang im Atrium, doch die Zelle, zu der ich heute möchte, befindet sich im hintersten Teil der Krankenstation. Es erscheint mir fast wie ein Labyrinth. Ich spüre auch die misstrauischen Blicke der Ärzte und Wachen auf mir, an denen ich vorbeieile. Durch einen erhobenen Kopf
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