Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
monotoner Stimmlage. „Und so wird jeder Tag meines restlichen Lebens sein.“
Ich höre das Bedauern aus ihrer Stimme. Manchmal denke ich, dass sie bereut, dass ihr Selbstmordversuch gescheitert ist. Zwar kann A566 sie nicht länger belästigen, aber deshalb ist ihr Leben noch lange nicht aufregender oder abwechslungsreicher als zuvor. Immer wenn ich sie dabei erwische, wie sie aus den großen Fenstern blickt, sehe ich die Sehnsucht in ihren Augen wie ein Feuer lodern. Die Erinnerung daran bringt mich auf eine gewagte Idee, aber vielleicht ist es genau das, was Asha jetzt braucht.
„ Hast du Lust auf einen kleinen Ausflug?“
Neugierig, aber zugleich auch misstrauisch, dreht sie ihren Kopf in meine Richtung. „Ein Ausflug?“
„ Es ist nichts Gefährliches“, versichere ich ihr, ohne zu erwähnen, dass es verboten ist.
„ Was hast du denn vor?“, will sie weiterhin zweifelnd wissen.
„ Das ist eine Überraschung!“
„ Kannst du mir nicht einfach sagen, was du vorhast?“, fragt sie genervt, aber hat sich bereits aufbruchbereit in dem Bett aufgesetzt.
„ Dann wäre es keine Überraschung mehr. Vertrau mir einfach!“
Ich weiß, dass das leichter gesagt als getan ist. Asha ist bisher wenig Gutes im Leben widerfahren. Trotzdem steht sie nun auf und folgt mir aus der Tür in Richtung der Aufzüge. Obwohl sie nun die Berechtigung hat, unser gemeinsames Zimmer zu öffnen, liegt die Erlaubnis zur Benutzung des Aufzugs nach wie vor einzig und allein bei den Legionsführern. Schnell lege ich meinen Daumen auf den Scanner und schaue zufrieden dabei zu, wie die Tür sich vor unseren Augen öffnet.
Asha und ich treten ein. Doch anders als sonst drücke ich nicht den Knopf mit der Aufschrift ‚S‘ für Sicherheitszone, sondern den Knopf zwischen der Sicherheitszone und der Legionsführerkugel mit der Bezeichnung ‚F‘. F wie Freigelände. Asha schaut mich mit großen Augen an. Für sie scheint ‚F‘ nicht für Freigelände, sondern für Freiheit zu stehen.
„ Ich sagte doch, es ist eine Überraschung“, sage ich und kann mir ein Grinsen kaum verkneifen.
Sobald die Türen sich öffnen, schlägt uns bereits ein völlig anderer Geruch entgegen. In der ganzen Legion riecht es oft nach nichts oder es liegt der sterile Duft von Desinfektionsmitteln in der Luft. Außerhalb des Aufzugs wird die Nase jedoch beinahe von den vielen verschiedenen Gerüchen überwältigt. Da ist der Duft nach dem roten Sand, der sich am Tag von der Sonne aufheizt und in der Nacht vollkommen abkühlt. Außerdem der Geruch nach Motorenöl und Benzin von den Fahrzeugen der Legion. Metall und Stahl von den Gehäusen liegt in der Luft, sowie der kühle Duft der Nacht, den der Wind einem ins Gesicht bläst. Mir wird erst jetzt bewusst, wie sehr ich das alles vermisst habe. Dabei habe ich nur wenige Monate außerhalb der Sicherheitszone gelebt. Wie muss es da erst Zoe und Finn ergehen, die außerhalb der Legion aufgewachsen sind?
Asha setzt vorsichtig einen Fuß außerhalb des Aufzugs, so als habe sie Angst, sich an dem roten Sand zu verbrennen. Ihre Stiefel würden ohnehin keine Hitze durchlassen, abgesehen davon, dass der Sand schon längst abgekühlt ist. Aber ihre Vorsicht hat etwas Ehrfürchtiges an sich, das mich tief berührt. Als ich nach meiner Entführung in einer Höhle der Rebellen aufgewacht bin, war meine Panik, an der Radioaktivität zu sterben, viel zu groß, um die vielen unterschiedlichen Düfte in der Luft überhaupt wahrzunehmen. Asha braucht davor keine Angst zu haben. Sie weiß von mir, dass die Luft nicht länger radioaktiv verseucht ist.
Sobald sie den zweiten Fuß außerhalb des Aufzugs gesetzt hat, atmet sie erleichtert aus und wieder ein. Sie scheint die fremde Luft förmlich zu inhalieren und schließt schließlich sogar die Augen. Sie hebt ihre Hände und genießt die sanfte Berührung des lauen Nachtwindes. Finn hat mir einmal gestanden, dass er sich bereits in mich verliebt hatte, als er gesehen hat, wie ich zum ersten Mal die Sterne betrachtet habe. Er hat in meinen Augen damals gesehen, dass ich mich bereits in die Welt und auch ihre Freiheit verliebt habe. Nur war er zu stolz, um sich das selbst einzugestehen.
Asha hat sich nicht erst jetzt in die Sterne und die rote Wüste verliebt, sondern sie hat sich seit dem ersten Tag, an dem sie sie durch die großen Fenster der Legionsführerkugel gesehen hatte, nach ihnen gesehnt. Ihre Sehnsucht war so stark, dass es sie fast getötet hätte.
Ich löse
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