Radioactive -Die Verstossenen
werden weder angezweifelt, noch in Frage gestellt, sondern schlicht und einfach befolgt. Die Dokumentation, die wir zu sehen bekommen werden, wird sicher nicht schön sein. Trotzdem freue ich mich über die Ablenkung aus unserem sonst bis ins Detail geplanten Alltag. Vor der Arena steht C515 in seinem neuen blauen Anzug. Das ist gut, denn es bedeutet, dass er nicht für den Außendienst eingesetzt wurde. Jedenfalls noch nicht.
Als ich an ihm vorbeigehe, schaue ich ihm entgegen. Unsere Blicke begegnen sich für einen Moment. Ich freue mich so darüber, dass es ihm gut geht, dass ich ihm ein kurzes Lächeln schenke. Seine Augen weiten sich erstaunt, doch dann nickt er mir höflich zu.
Ein Ellbogen bohrt sich spitz in meine Seite. Erschrocken fahre ich herum. D523 sieht mich an und wieder hat sie dieses eigenartige Grinsen im Gesicht, was ich hier sonst noch nie bei jemandem gesehen habe.
„Du stehst auf ihn!“, behauptet sie und ich habe keine Ahnung, wovon sie spricht.
„Worauf stehe ich?“
Sie stöhnt entnervt auf und schlägt sich spielerisch gegen den Kopf. „Du findest C515 gut.“
Fragend schaue ich sie weiter an. Was will sie mir damit sagen? „Natürlich finde ich ihn gut, er ist ein Kämpfer. Er beschützt uns.“
Jetzt schüttelt sie den Kopf und wirft entrüstet die Hände in die Luft. „Tust du nur so blöd oder bist du wirklich so dumm? Du magst ihn mehr als andere, jetzt kapiert?“
Meine Augen weiten sich empört. Was sie da anzudeuten versucht, ist absolut verboten. Jeder von uns weiß von den Gefühlsleben auf der alten Erde. Die Menschen gingen „Beziehungen“ ein, wie sie es nannten. Vor allem zwischen Mann und Frau passierte das ständig. Doch gab es deshalb nur Probleme. Sie betrogen einander, schrien sich an, schlugen einander und begannen zuletzt aus Eifersucht sogar Morde. Zwischenmenschliche Beziehungen sind Unruhefaktoren und deshalb seit langer Zeit bei uns abgeschafft und zudem verboten. Wir sind alle gleich, deshalb empfinden wir nicht stärker für einander. Jeder ist uns gleich sympathisch oder unsympathisch. Jedenfalls sollte es so sein.
„D523, du solltest dich wirklich von einem Doktor untersuchen lassen. Du wirst dir irgendwann noch einmal mit deinen Behauptungen schaden.“, antworte ich ihr förmlich und ernte dafür einen Blick aus zusammengekniffenen Augen. Aber das ist mir egal, sie soll mich in Ruhe lassen. Ständig flüstert sie mir irgendwelche Dinge ins Ohr, die ich nicht hören möchte, über die ich nicht mal nachdenken will. Es ist, als würde sie Wasser auf einen Samen in meinem Inneren gießen, damit er zu einer starken Pflanze heranwächst. Schlimm genug, dass dort überhaupt ein Keim ist, doch werde ich zu verhindern wissen, dass diese winzige Knospe zu einem Unkraut heranwächst.
Die Arena ist nun voll besetzt. Jeder Platz belegt. In der Mitte sind an den Rändern Projektoren aufgebaut worden, die das Bild dreidimensional in das Innere spiegeln. Wir haben schon öfters Vorführungen dieser Art gesehen. Es ist jedes Mal so, als wäre man selbst dabei.
Die Lichter erlöschen und die kurze Melodienfolge der Legion ertönt. Vor unseren Augen setzen sich die ersten Bilder zusammen. Es sind die Baumkronen eines Waldes zu sehen. Sie wirken so echt, dass manche der Heranwachsenden ihre Hände ausstrecken, in dem Glauben sie wirklich berühren zu können. Doch ihre Hände gleiten enttäuschend durch die Luft.
Die Kamera zoomt näher heran und nun erkennen wir eine Gruppe Männer, wahrscheinlich Soldaten, die in einer Reihe stehen. Ihre Augen sind geweitet und ihre Lippen aufeinander gepresst. Sie zittern am ganzen Körper, während Schweiß von ihrer Stirn perlt. Wir blicken in die Augen eines jungen Mannes. Er ist nicht mal alt genug für die Zuordnung, vielleicht gerade mal fünfzehn. Seine Augen sind anders als unsere. Nicht lichtblau, sondern eher in einem Grauton, wie die Wände der Gemeinschaftsgänge, aber viel lebendiger. Anthrazitfarbene Sprenkel lassen sie schimmern und erinnern an die Wellen des Meeres. Doch plötzlich erlischt alles Leben in seinen Augen. Eine Kugel trifft ihn mitten auf die Stirn und reißt diese auseinander. Ein Keuchen entfährt D523 neben mir. Ich blicke zu ihr und sehe, dass sie sich vor Schreck die Hände vor die Augen geschlagen hat, während in der Mitte der Arena ein Mann nach dem anderen erschossen wird. Nach zehn Tote, endet die Szene und zeigt hunderte nackter Männerleichen übereinander gestapelt in demselben
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