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Radioactive -Die Verstossenen

Radioactive -Die Verstossenen

Titel: Radioactive -Die Verstossenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maya Shepherd
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Im Kleinkindalter werden wir in verschiedene Erziehungsgruppen eingeteilt, aber spätestens im Bildungsunterricht treffen wir wieder aufeinander. Nicht jeden der 99 erkenne ich wieder, aber D523 ist so einmalig, dass ich sie nicht übersehen haben kann. Alleine ihre Art zu sprechen ist fremd. Ihre Augen sind so lebhaft und wild wie ein Sturm auf rauer See, obwohl sie dasselbe Lichtblau haben wie alle anderen auch.
    Heimlich blicke ich zu ihr rüber. Konzentriert tippt sie auf den Bildschirm vor sich. Ich kann nichts erkennen und lehne mich deshalb vorsichtig etwas zurück. Ihre Kameraaufnahme zeigt einen jungen Mann. Das Programm gibt 10 Cerealienwürfel, 1 Vitamintablette, 1 Eiweißkapsel, 1 Glas Wasser vor. Doch D523 ändert die Einstellung und fügt eine weitere Eiweißkapsel, sowie 3 Eisenrationen hinzu.
    Vor Unglauben werden meine Augen groß und ich stoße ein alarmiertes Japsen aus. Sofort schnellen D523s Augen zu mir, doch sie wirkt nicht erschrocken, sondern eher genervt, wie üblich.
    „Was machst du da?“, zische ich ihr zu.
    „Ich passe seine Nahrung an.“, gibt sie schulterzuckend von sich, als wäre es das Normalste der Welt.
    „Das Programm schlägt aber etwas anderes vor.“
    „Dann liegt es eben falsch.“
    „Das System versagt nie.“
    „Oh doch , und du weißt das.“, sagt sie energisch, wobei ihre Augen die meinen fixieren.
    Mein Puls beginnt erneut in die Höhe zu schnellen. Gehetzt blicke ich mich in dem vollen Raum um. Hat jemand unser Gespräch belauscht? Alle starren fast leblos auf ihre Monitore. B269 wartet auf seine Nahrung. Ich bestätige die Auswahl des Programms.
    „Warum?“, wispere ich in D523s Richtung.
    „Das nennt man Rebellion.“, flüstert sie verschwörerisch zurück und raubt mir den Atem. ‚ Rebellion‘ bedeutet Gefahr und Krieg. Gesetze sind dazu da , befolgt zu werden. Sie schützen uns.
    Ich schüttele aufgebracht den Kopf. „Bitte lass das. Es ist falsch.“
    Sie legt ihre Hand auf meinen Arm. Warum sie das tut , ist mir rätselhaft. Wir berühren einander nicht. „Die Legion ist falsch. Sie betrügen uns. Es stimmt nicht, was sie sagen.“
    „Was meinst du?“
    „Sie verbieten uns , Mensch zu sein. Wir dürfen keine eigenen Entscheidungen treffen. Wir dürfen nicht denken. Sie verbieten uns Gefühle.“
    „Das stimmt nicht.“, behaupte ich sofort. Ich will nicht, dass sie so schlecht über die Menschen spricht, die uns am Leben erhalten.
    „Ach nein , und warum hast du dann selbst rebelliert?“
    Fassungslos reiße ich die Augen auf, viel zu laut entfährt mir: „Das habe ich nicht. Das würde ich nie tun.“
    D375 dreht sich misstrauisch von der vordersten Reihe zu uns herum. Schnell schauen wir beide wieder gefesselt auf den Monitor vor uns. Ohne die Vorgaben des Programms überhaupt zu beachten, bestätige ich die Auswahl.
    Mein Herz rast. Wie kann sie so etwas nur behaupten? Ich bin kein Rebell. Ich würde nie etwas gegen die Legion unternehmen. Die Sicherheitszone ist mein Zuhause. Der einzige sichere Ort in dieser Welt. Ich bin froh , hier sein zu dürfen.
    „Du hast nicht auf mich geschossen. Du hast ihren Befehl missachtet, weil du wusstest, dass es falsch ist. Alleine deshalb bist du jetzt hier. Sie stellen Menschen wie dich und mich ruhig.“
    Ich halte den Atem an und vor meinen Augen spielt sich erneut die Szene in der Arena ab. Meine Zweifel , auf D523 zu schießen , sind genauso lebendig wie damals. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich einem Befehl widersetzt habe. Es fing schon als Kleinkind mit dem Nachthemd an. Ich wollte niemandem damit schaden. Letztendlich habe ich doch auch geschossen. Ich bin kein Unruhestifter, trotzdem hat D523 Recht. Wir haben etwas gemeinsam, wir sind beide hier.

    Es ist das erste Mal, dass ich die Morgenschicht übernehme. Das erste Mal, dass ich um 22.00 Uhr aufstehe, anstatt schlafen zu gehen. Das erste Mal, dass etwas gegen meinen gewohnten Ablauf passiert.
    Nachts sind sowohl das Atrium als auch die Gänge fast wie ausgestorben. Auch die schönen Bilder des Atriums fehlen vollkommen. Die Wände sind zwar durch ihre Höhe nach wie vor beeindruckend, doch genauso grau und kalt wie die meisten Räume. Es hat seinen Zauber verloren.
    Als ich den Computerraum der Nahrungsvergabe betrete, sitzt D523 bereits auf ihrem Platz. Wie alle anderen hebt sie nicht einmal den Blick, als ich das Zimmer betrete. Doch ich weiß genau, dass sie mich bemerkt hat. Seltsamerweise freut es mich jedoch , sie zu sehen.

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