Radioactive -Die Verstossenen
wenigen Minuten drang noch sein leises Schluchzen aus dem Zelt. Immer wenn ich dachte, er hätte sich etwas beruhigt, war sein Klagen nur um so lauter und schmerzhafter. Sogar Finn, dessen stärkste Gefühlsregung immer seine Wut war, vergoss einige stille Tränen, als er Pep wie ein zitterndes Neugeborenes in seinen Armen gewiegt hat.
Jetzt ist er seltsam still. Wir haben uns mit den Schlafsäcken vor die Zelte gelegt, da Pep alleine sein wollte und keiner von uns weiß , wie wir mit Gustav umgehen sollen. Ich spüre, wie Finns Brust sich neben mir hebt und senkt. Mein Blick fällt auf sein Gesicht. Seine Augen sind geöffnet. In ihnen spiegelt sich das Leuchten der Sterne. Ich sehe die Bahnen, die die Tränen auf seiner schmutzigen Haut hinterlassen haben. Seine Lippen sind gesprungen. Ich weiß nicht , was ich sagen soll. Während ich die Stille anfangs noch als erholsam empfand, fühlt sie sich nun bedrückend an. Also rede ich einfach drauf los. Sage das Erstbeste, was mir in den Kopf kommt.
„Ich frage mich, warum die Kämpfer der Legion uns nicht weiter angegriffen haben. Es gibt keinen Ort, an dem wir uns vor ihnen verstecken könnten.“
Ich sehe ein leichtes Zucken an seinem Auge, doch weiter reagiert er auf meine Worte nicht.
„Sie haben uns gejagt, aber wenn sie uns alle wirklich hätten töten wollen, dann hätten sie es auch getan. Vielleicht wollten sie uns nur von der Stromwand fernhalten. Vielleicht wollten sie ein Exempel statuieren…“
„Cleo…“ Finn unterbricht mich. Seine Stimme ist weder wütend noch herrisch, sondern mehr flehend. Er wirkt schwächer und verletzlicher als je zuvor.
„Können wir bitte aufhören , darüber zu reden? Wenigstens für heute. Ich will nicht mehr darüber nachdenken. Es ist zu viel passiert.“
Kämen die Worte von jemand anderem als Finn, könnte ich es verstehen und es würde mich nicht einmal wundern. Doch sie aus Finns Mund zu hören, ist befremdlich. Er wirkte auf mich immer stark, jederzeit zu einem Kampf bereit. Sein Hass auf die Legion schien das zu sein, was ihn am Leben hielt. Sein Motor. Und ausgerechnet er ist es nun müde, darüber zu reden. Jeps Tod muss ihn mehr getroffen haben, als ich dachte.
Plötzlich setzt er sich auf und wirkt ganz fahrig und nervös. Er streicht sich mit der Hand durch sein ohnehin schon verwuscheltes Haar. Irgendetwas scheint ihn zu belasten, vielleicht will er ja darüber reden.
„Was ist los?“
Ich setze mich neben ihn. So nah, dass sich die nackte Haut unserer Arme berührt. Ich bin froh zu spüren, dass seine Haut wieder wärmer als meine ist.
Er fährt mit seiner linken Hand über die Fingerknöchel seiner rechten und beginnt sie zu kneten. Sein Mund ist ganz verkniffen und seine Stirn liegt in Falten, so als müsste er angestrengt über etwas nachdenken.
„Ich hatte Angst“, gesteht er mir schließlich. An seiner Stimme höre ich, dass das nicht alles ist, sondern noch mehr kommt.
„Aber nicht um mich, sondern um dich.“
Unsere Blicke begegnen sich. Wieder liegt das feuchte Glitzern von Tränen in seinen hellblauen Augen. Er löst seine verkrampften Hände voneinander und greift stattdessen sanft nach meiner Hand. Ich spüre , wie sein Zittern auf mich übergeht , und erwidere seinen Händedruck. Zum ersten Mal fühle ich mich stärker als er. Aber nur, weil seine Worte mir Kraft geben. Bevor ich Finn traf, kannte ich weder Angst noch Liebe. Vielleicht kann nur fürchten, wer liebt. Denn nur wer liebt, kann etwas verlieren. Der Gedanke , Finn zu verlieren, zerreißt mir beinahe das Herz.
„Wenn du nicht mehr da wärst, dann…“ Er bricht ab, so als würde er nach den richtigen Worten suchen, dabei drückt er meine Hand so fest, dass es fast weh tut. Sein Blick ist verzweifelt, während ich an seinen Lippen hänge und kaum erwarten kann, was er sagen wird. Ich sehne mich so sehr nach seiner Nähe, dass ich mich am liebsten an ihn drücken möchte. Ich will seine warme Haut auf meiner spüren und mein Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben, während sein unverkennbarer Geruch nach Sonne und Erde in meiner Nase liegt und seine welligen Haare mein Gesicht kitzeln.
„Ich werde dich vermissen.“
Es liegt so viel Schmerz in den vier Worten und gleichzeitig so viel Wahrheit. Unsere Trennung steht so kurz bevor, dass sie fast greifbar ist. Unsere Tage sind gezählt. Wir gehören nicht zu den Menschen, die sich auf Anhieb miteinander verstanden haben, aber dafür ist unsere Verbindung jetzt umso
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