Radioactive -Die Verstossenen
stärker. Es ist , als würden unsere Herzen im gleichen Takt schlagen, obwohl wir sonst grundverschieden sind. Was bedeutet schon die Herkunft oder der Glaube, wenn die Herzen zusammengehören.
Finn ist mir so nah, dass unsere Nasenspitzen sich berühren. Sie streifen einander wie eine zärtliche Liebkosung. Sein Atem streift meine Wange und ein Kribbeln zieht sich durch meinen gesamten Körper. Der feste Griff seiner Hand lockert sich. Er streichelt mir mit der rauen Haut seines Daumens über den Handrücken. Obwohl ich nie zuvor jemandem so nahe war, geschweige denn jemanden geküsst hätte, weiß ich instinktiv, dass dies der Moment ist , in dem es passieren wird. Mein Herz klopft wie wild gegen meine Brust. Es ist so stark, dass auch Finn es spüren muss. Meine Lippen nähern sich den seinen. Seine Hand streicht über meine Wange, dann dreht er sich weg. Mein Gesicht schwebt in der Luft vor seiner linken Gesichtshälfte, die mir nun wie eine unüberwindbare Mauer erscheint. Ein kalter Luftzug fährt über meine erhitzten Wangen, während mir für einen Moment der Atem fehlt. Habe ich mich getäuscht? Wollten wir nicht das Gleiche? War es nur mein eigener Wunsch nach mehr?
Finns Blick ist stur geradeaus gerichtet, als er sich räuspert. „Wir sollten jetzt schlafen. Wir müssen morgen eine lange Strecke zu den Höhlen fahren. Ich brauche meinen Schlaf.“
Ruckartig legt er sich hin und dreht mir den Rücken zu. Obwohl er mir gesagt hat, dass ich ihm etwas bedeute und er mich vermissen wird, fühle ich mich gedemütigt und verletzt. Ich ärgere mich am meisten über mich selbst und meine eigene Dummheit. Ich hätte mich zufrieden geben sollen mit dem , was ich hatte, stattdessen will ich immer mehr. Während ich mir am Anfang nur gewünscht habe, dass Finn mich in Ruhe lässt, erwarte ich nun , dass er mich küsst. Warum will ich es mir noch schwerer machen , als es ohnehin schon ist? Bald bin ich zurück in der Sicherheitszone und werde Finn vielleicht nie wieder sehen. Ein Kuss von ihm wäre nur eine weitere schmerzhafte Erinnerung an ein Leben, das nicht mir gehört.
Plötzlich fühle ich mich erschöpft und sinke neben Finn zu Boden. Er liegt mit dem Rücken zu mir, aber anstatt ihm ebenfalls den Rücken zuzuwenden, drehe ich mich zu ihm hin. Zu sehen , wie sein Körper sich langsam hebt und senkt, beruhigt mich und ich fühle mich in dem Schatten seines Rückens geborgen. Seine Haare umspielen in sanften Wellen seinen Nacken. Ich schließe die Augen und atme tief ein. Ich sehe , wie die Sonne die feinen weißen Härchen auf seinen nackten Armen zum Leuchten bringt. Ich kann den lehmigen Boden sowie das feuchte Gras am See riechen. Das ist der Geruch von Glück. Daran werde ich mich erinnern, wenn ich in meiner grauen Zelle in der Sicherheitszone liege. Wann immer ich traurig bin, werde ich an Finn denken und wissen , warum ich zurückgegangen bin. Er verdient es , frei zu sein.
Die Fahrt war schweigsam. Es gab weder Scherze noch Gelächter, nicht einmal das Schnarchen von Gustav. Auch er ist verändert, als hätte er nun endlich sein wahres Alter erreicht. Er ist blass geworden und wirkt so schwach, als könne er sich kaum noch auf seinen krummen Beinen halten. Sein Bedauern steht ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.
Die anderen kommen aus den Höhlen gerannt, sobald sie den Wagen hören. Anscheinend geht es ihnen gut. Zumindest ist hier nichts passiert. Emily schwenkt zur Begrüßung eine grüne Fahne, während Grace und Florance uns aufgeregt zuwinken. Sie strahlen vor Freude bis über beide Ohren . Doch eine fehlt. Wo ist Iris? Noch bevor der Wagen steht, reiße ich die Beifahrertür auf und stürze aus dem Jeep. Florance rennt mir entgegen und schließt mich, ehe ich etwas sagen kann, in ihre Arme. Sie drückt mir einen Kuss erst auf die linke, dann auf die rechte Wange. Sie ist so glücklich, dass mir fast die Tränen kommen, bei dem Gedanken an ihr Gesicht, wenn sie von dem Tod ihres Bruders erfahren wird. Aber ich will nicht diejenige sein, die es ihr sagt. Niemand wird es ihr sagen, denn sie wird verstehen, wenn sie Pep sieht.
„Wo ist Iris?“, stoße ich hervor und Florances Gesicht verändert sich schlagartig. Sie schluckt und blickt in die Ferne anstatt in mein Gesicht. „Es gab da einen Vorfall.“
Meine Alarmglocken beginnen zu schrillen. „Ist ihr etwas passiert?“, stoße ich entsetzt hervor und drücke Florance Arme etwas fester, um sie zu zwingen , mich wieder
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