Rächende Geister
gewiss verzeihen, Renisenb. Du bist ganz anders als Nofret.«
»Lass uns nicht von Nofret sprechen.«
»Du hast Recht, besser nicht. Kameni ist schön, und er hat Glück, findest du nicht auch? Ich meine, er hatte Glück, dass Nofret gestorben ist. Sie hätte ihm übel mitspielen können. Sie wäre mit deiner Heirat nicht einverstanden gewesen. Ich glaube sogar, sie hätte Mittel und Wege gefunden, diese Heirat unter allen Umständen zu verhindern.«
Renisenb sah sie mit kalter Abneigung an.
»Du hattest seit jeher eine giftige Zunge, Henet. Sie sticht wie ein Skorpion. Aber du kannst mich nicht unglücklich machen.«
»Oh, das ist doch herrlich! Du musst sehr verliebt sein. Ja, Kameni ist ein schöner junger Mann, und er versteht sich darauf, Liebeslieder zu singen. Er hat stets bekommen, was er haben wollte. Wirklich, ich bewundere ihn. Er macht immer einen so schlichten und offenen Eindruck.«
»Worauf willst du hinaus, Henet?«
»Ich sage nur, dass ich Kameni bewundere. Das Ganze ist wie eine der Geschichten, die man in den Basaren von den Geschichtenerzählern hört. Der arme junge Schreiber heiratet die Tochter des Herrn und teilt mit ihr die Erbschaft. Wunderbar, was für ein Glück ein schöner junger Mann immer hat!«
»Ich habe Recht«, bemerkte Renisenb, »du hassest uns.«
»Wie kannst du so etwas sagen, wo du doch weißt, dass ich mich seit dem Tode deiner Mutter für euch alle abgerackert habe?«
Aber immer noch enthielt Henets Stimme das böse Frohlocken statt des üblichen Klagetons.
Renisenb blickte auf das Schmuckkästchen nieder, und mit einem Mal kam ihr noch eine Gewissheit.
»Du hast auch das goldene Löwenhalsband in dieses Kästchen gelegt. Leugne es nicht, Henet, ich weiß es.«
Henets Frohlocken schwand. Sie sah plötzlich erschrocken aus.
»Ich konnte nicht anders, Renisenb. Ich fürchtete mich…«
»Wovor denn?«
Henet trat einen Schritt näher und senkte die Stimme.
»Nofret schenkte es mir kurz vor ihrem Tod. Ich erhielt mehrere Geschenke von ihr. Nofret war sehr freigebig.«
»Sie hat dich also gut bezahlt.«
»Das ist keine liebenswürdige Ausdrucksweise, Renisenb. Aber ich will dir die Wahrheit sagen. Sie schenkte mir das goldene Löwenhalsband, eine Amethystspange und ein paar andere Sachen. Und als dann der Viehhirte erzählte, er hätte eine Frau mit dem Halsband gesehen, bekam ich Angst. Ich befürchtete, man könnte denken, dass ich den Wein vergiftet habe. Deshalb legte ich das Halsband in das Kästchen.«
»Ist das wirklich wahr, Henet? Sprichst du überhaupt jemals die Wahrheit?«
»Ich schwöre dir, es ist die Wahrheit. Und ich habe auch jetzt noch Angst.«
»Warum? Sag es mir.«
Henet befeuchtete sich die dünnen Lippen. Ihre Augen waren wie die eines gehetzten Tieres.
»Ich habe nichts zu sagen.«
»Du weißt zu viel, Henet. Du hast schon immer zu viel gewusst. Das hat dir Freude gemacht, aber es ist auch gefährlich.«
Henet lachte böse.
»Wart’s nur ab, Renisenb. Eines Tages werde ich die Macht in diesem Hause haben. Wart’s nur ab.«
Renisenb richtete sich auf.
»Mir wirst du kein Leid antun, Henet. Meine Mutter würde es nicht zulassen.«
Henets Gesichtsausdruck veränderte sich, ihre Augen brannten.
»Deine Mutter habe ich gehasst – von jeher. Und du hast ihre Augen, ihre Stimme, ihre Schönheit und ihren Hochmut. Ich hasse auch dich, Renisenb.«
Renisenb lachte.
»Endlich hab ich es geschafft, dass du die Wahrheit sagst.«
20
Zweiter Monat des Sommers – 15. Tag
D ie alte Esa humpelte müde in ihr Zimmer.
Bis jetzt hatte sie nur körperliche Müdigkeit gekannt, doch nun musste sie sich eingestehen, dass auch seelische Müdigkeit sie ergriffen hatte.
Sie wusste, dass sie einen Beweis für ihre Vermutungen finden musste, doch sie brachte nur noch die Kraft auf, auf der Hut zu sein und sich zu schützen. Denn der Mörder – darüber gab sie sich keinerlei Illusionen hin – war bereit, einen weiteren Mord zu begehen.
Nun, sie mochte nicht das nächste Opfer sein. Sie war überzeugt, dass die Waffe Gift sein würde. Ein Überfall kam nicht in Frage, weil sie nie allein, sondern stets von Dienern umgeben war. Oh, gegen Gift wusste sie sich zu wappnen. Renisenb musste ihr die Speisen kochen und bringen. In ihrem Zimmer stand ein Weinkrug im Ständer, aber sie trank den Wein erst, nachdem ein Sklave davon gekostet und sie vierundzwanzig Stunden gewartet hatte, um sich zu vergewissern, dass er keine schlimme Wirkung
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