Rächende Geister
wenn ich sie recht verstanden habe, glaubt sie, dass du etwas weißt, das du für dich behältst. Stimmt das, so sprich. Sprich hier vor uns allen. Was weißt du?«
Henet schüttelte den Kopf: »Nichts.«
»Nimm deine Worte in Acht, Henet. Wissen ist gefährlich.«
»Ich weiß nichts, ich schwöre es bei den Göttern.«
Henet zitterte. Ihre Stimme hatte nicht mehr den jammernden Ton, sondern klang ehrfurchtsvoll und aufrichtig.
Esa stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie sank noch mehr zusammen und murmelte: »Helft mir in mein Zimmer.«
Hori und Renisenb eilten zu ihr.
Esa sagte: »Nicht du, Renisenb. Hori soll mir helfen.«
Sie stützte sich auf ihn, während er sie hinausführte. Als sie zu ihm aufblickte, sah sie, dass seine Miene ernst war.
»Nun, Hori?«
»Du warst unklug, Esa, sehr unklug.«
»Ich musste es wissen.«
»Ja, aber du hast ein großes Wagnis auf dich genommen.«
»Ich verstehe. Du glaubst also dasselbe?«
»Schon seit einiger Zeit, aber ich habe keinen Beweis.«
»Es genügt, dass ich Bescheid weiß.«
»Nimm dich in Acht, Esa. Von jetzt an bist du in Gefahr.«
»Wir müssen schnell handeln.«
»Gewiss, doch was können wir tun? Wir sollten einen Beweis haben.«
»Ich weiß Bescheid. Wenn meine Augen auch nicht mehr gut sind, so haben sie doch gesehen, dass meine Worte einem bestimmten Menschen Eindruck gemacht haben.«
19
Zweiter Monat des Sommers – 15. Tag
» W as hast du dazu zu sagen, Renisenb?«
Renisenb blickte zweifelnd von ihrem Vater zu Yahmose. Sie fühlte sich ganz benommen.
»Ich weiß nicht.«
Tonlos kamen die Worte von ihren Lippen.
»Unter normalen Umständen hätten wir viel Zeit, darüber zu reden«, fuhr Imhotep fort. »Ich habe noch andere Verwandte, und wir könnten wählen und verwerfen, bis wir den passenden Gatten für dich gefunden hätten. So aber ist das Leben unsicher – ja, es ist unsicher.« Seine Stimme bebte. »So stehen die Dinge, der Tod bedroht uns täglich, Yahmose, dich und mich. Wen wird der nächste Streich treffen? Darum drängt es mich, meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Wenn Yahmose etwas zustößt, dann brauchst du, meine Tochter, einen Mann, der dir beisteht, der die Erbschaft mit dir teilt und all die Pflichten erfüllt, die ein Weib nicht zu übernehmen vermag. Denn wer weiß, wann ich euch genommen werde? In meinem letzten Willen habe ich bestimmt, dass Hori für Sobeks Kinder die Güterschaftsverwaltung übernimmt; wenn Yahmose nicht mehr am Leben ist, auch für Yahmoses Kinder, da Yahmose es so wünscht. Nicht wahr, mein Sohn?«
Yahmose nickte.
»Hori hat mir immer sehr nahe gestanden. Er gehört für mich gewissermaßen zur Familie.«
»Ganz recht«, sagte Imhotep. »Aber die Tatsache bleibt, dass er nicht wirklich zur Familie gehört. Kameni aber ist unseren Blutes. Deshalb ist er in Anbetracht der augenblicklichen Lage der geeignetste Gatte für Renisenb. Was meinst du also, Renisenb?«
»Ich weiß nicht«, wiederholte sie. Sie fühlte eine entsetzliche Mattigkeit.
»Er ist schön und wohlgefällig, das gibst du doch zu?«
»O ja.«
»Aber du magst ihn nicht heiraten?«, fragte Yahmose.
Renisenb warf ihrem Bruder einen dankbaren Blick zu. Er schien entschlossen zu sein, zu verhindern, dass sie zu einem Schritt gedrängt wurde, den sie nicht zu tun wünschte.
»Ich weiß wirklich nicht, was ich will«, sagte sie und fuhr hastig fort: »Es ist dumm, ich weiß, aber ich kann heute nicht klar denken. Daran ist wohl die Spannung schuld, in der wir uns alle befinden.«
»Wenn Kameni dir zur Seite steht, wirst du dich beschützt fühlen«, entgegnete Imhotep.
Yahmose fragte seinen Vater: »Hast du bedacht, dass auch Hori vielleicht ein geeigneter Gatte für Renisenb wäre?«
»Nun ja, das wäre eine Möglichkeit…«
»Sein Weib starb, als er noch jung war. Renisenb kennt ihn und ist ihm zugetan.«
Renisenb saß da wie in einem Traum, indes die beiden Männer redeten. Das Gespräch drehte sich um ihre Heirat, und Yahmose bemühte sich, die Wahl zu treffen, die sie selber wünschte, aber sie kam sich so leblos vor wie Tetis Holzpuppe.
Unvermittelt fiel sie ihnen ins Wort: »Ich werde Kameni heiraten, da ihr das richtig findet.«
Imhotep stieß einen Ruf der Befriedigung aus und eilte davon.
Yahmose trat zu seiner Schwester. Er legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Wünschst du dir diese Heirat, Renisenb? Wirst du glücklich werden?«
»Warum sollte ich nicht glücklich werden? Kameni ist schön
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