Raecher des Dunklen Imperiums
entgegen. „Wie kommt Ihr hierher?"
„Ich bin in Londra geboren. Wer seid Ihr? Doch auch wenn Ihr vom Orden des Königs seid, dulde ich nicht, daß Ihr so vertraulich zu Flana, der Gräfin von Kanbery, sprecht."
„Jetzt Königin Flana", berichtigte Hawkmoon.
„Königin - Königin - Königin." wisperte die ferne Stimme König Huons hinter und über ihnen.
„König." Eine weitere Gestalt schritt, ohne sie zu beachten, an ihnen vorbei. „König Meliadus."
Da wußte Hawkmoon, daß er das Gesicht Baron Meliadus', seines Erzfeinds sehen würde, wenn er dieser Gestalt den Helm vom Kopf risse. Aber er wußte auch, daß seine Augen so stumpf sein würden, wie zweifellos auch die von Flana waren. Er sah sich um. Noch viele andere befanden sich in diesem Raum - alles Edle des Dunklen Imperiums: Flanas früherer Gatte, Asrovak Mikosevaar; Shenegar Trott in seiner Silbermaske; Pra Flenn, Herzog von Lakasdeh im grinsenden Drachenhelm, der noch vor seinem neunzehnten Geburtstag gestorben war und mit eigener Hand über hundert Männer und Frauen getötet hatte, ehe er achtzehn wurde. Doch obgleich das hier eine Zusammenkunft der grausamsten und unerbittlichsten Kriegsherren Granbretaniens zu sein schien, achtete keiner auf sie. Sie hatten kaum Leben in sich. Nur Flana - die in Hawkmoons Welt noch zu den Lebenden zählte - war offenbar in der Lage, einigermaßen vernünftig zu sprechen. Der Rest war wie Schlafwandler, die ein oder zwei Worte murmelten, aber nicht mehr. Hawkmoons und Graf Brass' Eindringen in dieses makabre Museum der Lebenden und Toten hatte sie aufgescheucht wie Vögel in einer Voliere.
Es war kein schönes Gefühl, besonders für Hawkmoon, der viele dieser Männer eigenhändig getötet hatte, diese Schlafwandler hier zu sehen. Er griff nach Flanas Arm und nahm gleichzeitig seine Maske ab, damit sie sein Gesicht sehen konnte.
„Flana! Erkennt Ihr mich denn nicht? Ich bin Hawkmoon! Wie seid Ihr hierhergekommen?"
„Nehmt sofort Eure Hände von mir, Krieger!" sagte sie automatisch, obwohl es ihr ganz offensichtlich völlig gleichgültig war. Flana hatte nie sehr viel vom Protokoll gehalten. „Ich kenne Euch nicht. Setzt Eure Maske wieder auf."
„Dann müßt Ihr aus einer Zeit vor unserer ersten Begegnung gezogen worden sein - oder aus einer völlig anderen Welt", überlegte Hawkmoon laut.
„Meliadus. Meliadus.", wisperte König Huon in der Thronkugel über ihren Köpfen.
„König. König.", murmelte Meliadus in der Wolfsmaske.
Und „Runenstab", murmelte der fette Shenegar Trott, der beim Versuch, sich diesen mystischen Stab anzueignen, gestorben war. „Runenstab."
Das war offenbar alles, wovon sie sprechen konnten, von ihren Ängsten oder Ambitionen, jenen Ängsten und Ambitionen, die ihr Leben beherrscht und sie in ihr Verderben geführt hatten.
„Ihr habt recht", wandte Hawkmoon sich an Graf Brass. „Das hier ist die Welt der Toten. Aber wer hält diese bedauernswerten Kreaturen hier fest? Aus welchem Grund wurden sie wiedererweckt? Es ist wie eine makabre Schatzhöhle - mit menschlichem Plündergut aus der Zeit, alles hier zusammengehamstert."
Graf Brass schüttelte sich. „Ich frage mich, ob ich vielleicht bis vor kurzem noch Teil dieser Sammlung war. Wäre das möglich, Herzog Dorian?"
„Das hier sind alle Edle des Dunklen Imperiums. Nein, ich glaube, Ihr wurdet aus einer Zeit gerissen, lange, ehe sie starben. Eure Jugend spricht dafür - und daß Eure letzte Erinnerung die an die Schlacht von Tarkien ist."
„Ich danke Euch für diese Beruhigung", murmelte Graf Brass.
Hawkmoon legte einen Finger auf die Lippen. „Hört Ihr es auch? Draußen auf dem Gang?"
„Ja", erwiderte der Graf schnell.
„Wir ziehen uns in die Schatten zurück", drängte Hawkmoon. „Ich glaube, jemand kommt hierher. Er wird sicher das Fehlen der Wachen bemerken."
Kein einziger in dem großen Raum, nicht einmal Flana, versuchte sie aufzuhalten, als sie sich durch die Menge drängten und sich in die dunkelste Ecke drückten, wo sie durch die breitschultrigen Gestalten von Adaz Promp und Jerek Nankenseen verborgen waren. Die beiden hatten schon früher immer gern des anderen Gesellschaft gesucht.
Die Tür flog auf. Baron Kalan von Vitall, Grandkonnetabel des Ordens der Schlange, starrte unter seiner Maske zweifellos verwirrt und gleichzeitig wütend herein.
„Die Tür offen und die Wachen verschwunden!" tobte er. Er funkelte die Gesellschaft der lebenden Toten an. „Wer von euch ist dafür
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