Raecher des Herzens
Kirchenglocken läuteten Alarm. Als Erstes ertönten die gewaltigen Stimmen aus den Zwillingstürmen der St.-Louis-Kathedrale, dann stimmten die Glocken von St. Anthony und schließlich die der Christuskirche mit ein. Sie sangen mit ihrem Dreiklang das Totenlied für das Hotel, das ein Raub der Flammen zu werden drohte. Das Feuer donnerte und röhrte dazu.
Neugierige und Helfer, vom Geläut der Glocken herbeigerufen, nahten inzwischen aus allen Richtungen. Männer warfen ihre Mäntel ab und rollten die Hemdsärmel hoch. Im Haus gegenüber schleifte eine Frau nach und nach ihr gesamtes Mobiliar auf die Galerie und hievte die schweren Stücke übers Geländer.
Endlich konnte man in der Feme das Läuten der Feuerwehrglocke hören. Als es näher kam, wuchs es sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm aus. Vier schäumende Pferde, vom Kutscher zu schnellster Gangart angetrieben, zogen schließlich das gefährlich schlingernde Gefährt der Wehr um die Ecke. Die Feuerwehrmänner sprangen ab und begannen den Schlauch auszurollen. Schon preschte ein zweites Löschfahrzeug durch die Menge und hielt neben dem ersten an. Statt sich nun aber ans Werk zu machen und das Feuer zu bekämpfen, fiel die Besatzung des zweiten Wagens über die des ersten her. Ein heftiger Kampf entbrannte.
Celina wollte die Männer anschreien. Sie wusste, dass diejenige Feuerwehrmannschaft, die zuerst am Brandort eintraf, nach Ende der Löscharbeiten auf eine Belohnung hoffen durfte. Doch die Flammen schlugen immer höher, sie zischten und züngelten mit verzehrender Kraft. Das Hotel konnte schon bis auf die Grundmauern niedergebrannt sein, ehe sich die Feuerwehrleute endlich einig waren. »Dieser Brand ist nicht mehr zu löschen«, sagte Rio mit einem Blick auf die dampfenden Dachziegel. »Nicht bei diesem Wind. Er treibt das Feuer in Richtung der Passage. Wir können von Glück sagen, wenn es nicht auf die ersten Häuser der Gasse überspringt. Und falls das geschieht ...«
Er brauchte den Satz nicht zu beenden. Wenn die ersten Häuser der Passage Feuer fingen, würde die ganze Reihe der eng beieinander stehenden Gebäude in Flammen aufgehen. Von der Gasse aus konnte sich der Brand dann in jede beliebige Richtung ausbreiten.
Während Celina noch überlegte, wie groß die Gefahr war, und mit den Augen den Abstand vom Hotel zu den umstehenden Gebäuden maß, gab Rio Olivier leise ein paar Anweisungen. Dieser nickte, drückte noch einmal kurz Suzettes Hand und rannte dann in Richtung des Studios davon. Gleich darauf war er in der Menge verschwunden.
Rio wandte sich an Celina und Suzette. »Passt gut auf euch auf«, sagte er grimmig. »Ich würde lieber bei euch bleiben, aber ...« Er deutete in die Richtung, wo die Feuerwehrleute noch immer mit den Fäusten aufeinander eindroschen.
»Ich verstehe«, sagte Celina. Dabei wich sie bereits einige Schritte zurück. »Mach dir keine Sorgen um uns.«
Ringsumher fiel bereits Ruß vom Himmel. Ein ausgeglühter Holzspan hob sich als schwarzer Kringel auf Rios zuvor noch makellos weißem Kragen ab. Der Rauch stach Celina in die Augen. Sie musste gegen das Brennen anblinzeln.
»Es tut mir Leid«, presste Rio hervor.
»Aber warum denn? Du kannst doch nichts dafür.«
»Mag sein. Aber trotzdem.«
Er wandte sich ab und marschierte auf die erstbesten Uniformierten zu, die verbissen um die Vorherrschaft am Brandherd kämpften. Einen Augenblick später lagen zwei Männer am Boden, ein dritter hielt sich die blutende Nase. Die anderen schüttelten einander die Hände und griffen endlich nach dem Schlauch.
Als wäre dies das eigentliche Signal für den Einsatz gewesen, ordnete sich nach und nach das Gewimmel. Inmitten von Rauchwolken und einem Regen aus Asche und Ruß formierten sich die Hilfskräfte. Hotelgäste und sensationslustige Gaffer wurden gleichermaßen abgedrängt, denn die Mauern des Gebäudes konnten jederzeit einstürzen. Die Feuerwehrmänner begannen mit der Brandbekämpfung dort, wo die Flammen am höchsten schlugen.
Doch der armselige Wasserstrahl, den die Handpumpen zuwege brachten, konnte gegen die Gewalt des Feuers wenig ausrichten. Mit unverminderter Geschwindigkeit fraß es sich durch das Hotelgebäude. Nur zu bald wurde deutlich, dass dieses Haus nicht mehr zu retten war. Eine Feuerwehrmannschaft wandte sich nun dem Girod-Gebäude an der Ecke zu und kümmerte sich auch um die Häuser am Eingang der Passage.
Aus einer Seitentür des Hotels stolperte ein Mann heraus. Er schleppte einen
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