Raecher des Herzens
nicht beeilen, gerät das Feuer im Studio auch noch außer Kontrolle.«
Der Majordomo entgegnete noch einmal etwas, aber Celina war bereits einige Schritte voraus und verstand nicht mehr, was er sagte. Der beißende Rauch reizte ihre Kehle. Hustend kämpfte sie sich durch den engen Durchgang der Passage, einer zweiten Rauchsäule entgegen, die zum Glück deutlich kleiner war als die über dem Hotel.
Die Arkaden über dem Eingang von Rios Gebäude
schienen unversehrt. Der Rauch kam aus dem hinteren Teil des Hauses. Offenbar befand sich dort der Brandherd. Aus dieser Richtung war plötzlich ein Krachen zu vernehmen. Celina starrte zu den Fenstern im oberen Stockwerk hinauf. Aber sie konnte weder eine Bewegung noch sonst einen Hinweis darauf erkennen, dass sich jemand in den Räumen aufhielt. Wohin war Rio gegangen? Was hatte er vor?
Suzette und Oliver hatten sie inzwischen eingeholt. Ihnen folgten einige Neugierige, und auch einige der hier ansässigen Fechtmeister hatten sich bereits in der Passage eingefunden - Rios Freunde und seine Konkurrenten. Manche von ihnen kannte Celina vom Sehen, andere wiesen sich durch ihr athletisches Äußeres und ihr sicheres Auftreten als professionelle Fechter aus. Kurz entschlossen drängten sie ältere Leute und neugierige Kinder aus der Gefahrenzone und bildeten mit einigen Freiwilligen eine Kette, die dem Feuer mit Wassereimern zu Leibe rückte. Celina fand den Anblick der Männer, die so ruhig und entschlossen zur Tat schritten, ungeheuer tröstlich.
Sie sorgte sich um Rio, doch inzwischen stiegen neue Zweifel in ihr auf. Irgendetwas stimmte hier nicht. Rios Worte hatten seltsam geklungen. Was verbarg sich hinter seinem Ärger und seiner Sorge? Auch Olivier hatte sich eigenartig verhalten. Der Majordomo hatte verhindern wollen, dass sie zu Rios Studio ging. War er wirklich einzig und allein um ihre Sicherheit besorgt? Celina wollte lieber nicht darüber nachdenken, worin der wahre Grund für seine Sorge lag. Doch ihr Unbehagen wuchs, je länger sie vor dem Studio ausharrte.
In diesem Augenblick kam ein Mann auf sie zu. Überrascht hielt er inne. »Mademoiselle Celina? Wie kommt es, dass Sie hier sind? Sie sind doch hoffentlich nicht allein?«
Celinas Magen krampfte sich zusammen. Vor ihr stand Etienne Plauchet, Cousine Sonjas Gatte und der Gastgeber der Soiree, zu der sie kürzlich eingeladen gewesen war. »Eine Verkettung von Zufällen, Vetter«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Und meine Zofe begleitet mich natürlich.«
Der Gentleman beachtete Suzette kaum. »Wo ist denn Ihr Vater?«
Schreie ertönten, und Celina war froh, die Frage nicht beantworten zu müssen. Sie fuhr herum und sah eine große Gestalt unter den Arkaden des Studios zum Vorschein kommen. Rios Hemd war zerrissen und sein Gesicht so schwarz vom Ruß, dass man ihn kaum erkannte. In seinen Armen hing ein schlaffer Körper, dessen Kopf und Schultern in ein nasses Kleidungsstück gewickelt waren. Mit kraftvollen Bewegungen drängte sich Rio an den Männern mit den Eimern vorbei und trat hinaus in die Gasse. Dort kniete er nieder und legte seine Last vorsichtig auf den Pflastersteinen ab.
Celina stürzte auf ihn zu. »Dem Himmel sei Dank!«
Rio war so sehr mit dem Mann beschäftigt, den er aus dem Gebäude getragen hatte, dass er sie zunächst gar nicht zu bemerken schien. Er zog den nassen Mantel vom Gesicht des am Boden Liegenden und verharrte neben ihm in der Hocke.
Celina blieb wie angewurzelt stehen. Im ersten Augenblick des Schreckens konnte sie weder atmen noch einen klaren Gedanken fassen. Auf dem Pflaster lag Denys. Ihn hatte Rio aus dem von Rauch erfüllten Studio getragen. Rio hatte gewusst, dass Denys dort war, und hatte ihn vor dem Feuer in Sicherheit gebracht. Eigentlich hätte Celina erleichtert sein müssen, doch sie fragte sich, warum sich Denys nicht selbst befreit hatte. Er musste auf irgendeine Weise am Entkommen gehindert worden sein. Celina dachte an das aufgebrochene Schloss, von dem Olivier seinem Herrn berichtet hatte. Diejenigen, die behaupteten, Rio sei der Letzte gewesen, der Denys gesehen hatte, hatten sich nicht getäuscht.
In diesem Augenblick hob Rio den Blick. Celina glaubte, Schmerz und Reue darin zu erkennen. Sie starrte ihn an. Das Wissen, von ihm belogen und hinters Licht geführt worden zu sein, durchbohrte ihr Herz wie ein Schwert. Sie sank neben ihrem Bruder auf die Knie.
Totenblass und mit blutleeren Lippen lag Denys da. Seine Augen waren geschlossen.
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