Raecher des Herzens
hast dieses Haus nach Einbruch der Dunkelheit und nur in Begleitung deiner Zofe verlassen, du hast weder mir noch der Tante etwas davon gesagt. Dir hätte wer weiß was zustoßen können, und ich hätte es nie erfahren.«
»Ich dachte ... Ich wollte Denys unbedingt finden. | Und das ist mir auch gelungen.«
»Dem Himmel sei Dank dafür«, sagte der Vater mit Nachdruck. »Und auch dafür, dass du unversehrt nach Hause zurückgekehrt bist. Ich trage die Schuld daran, dass du dieses Risiko eingegangen bist. Das ist mir durchaus bewusst. Ich war in letzter Zeit zu selten zu Hause und habe mich zu wenig um die Familie gekümmert. Eigentlich glaubte ich, alles stünde zum Besten. Aber ich habe mich offenbar getäuscht.«
So sehr Celina das Verhalten des Vaters in den letz-
ten Tagen und Wochen missfallen hatte, sie ertrug es
nicht, dass er sich Vorwürfe machte. »Du hast getan, was du konntest, Papa.«
»Mag sein, aber war das genug? Von nun an muss alles anders werden. Ich gelobe, fortan ein besserer Vater zu sein, aber auch du musst deinen Teil beitragen. Du hast dir Dinge erlaubt, die eine junge Frau aus gutem Hause niemals tun darf. Was glaubst du wohl, was deine Mutter dazu gesagt hätte?«
»Ich kann es mir vorstellen«, sagte Celina kleinlaut. Ihre Mutter war stets sehr auf Etikette und das Einhalten gesellschaftlicher Konventionen bedacht gewesen. Nicht im Traum hätte sie daran gedacht, gegen die ungeschriebenen Gesetze ihrer Gesellschaftsschicht zu verstoßen.
»Bald wird man in allen Salons über deine nächtliche Eskapade sprechen. Dass du gute Gründe für dein eigenmächtiges Handeln hattest, kümmert dabei niemanden. Wir müssen retten, was zu retten ist, und das geht nur durch eine baldige Heirat.« Wieder hielt er Celina den Füllhalter hin. »Unterzeichne jetzt den Vertrag, Celina. Und bete zum lieben Gott, dass sich der Graf nicht angewidert abwendet, wenn ihm zu Ohren kommt, was man über dich sagt.«
»Brauchen wir denn keine Zeugen oder einen Notar?« In ihrer Not war Celina bereit, nach jedem noch so dünnen Strohhalm zu greifen.
»Ich habe Freunde im städtischen Magistrat. Sie werden sich später darum kümmern.« Wieder winkte der Vater mit dem Federhalter.
Eigentlich war dies der Augenblick, ihm zu sagen, dass der Graf keine jungfräuliche Braut zum Altar füh-ren würde. Celina hätte dem Vater diese Tatsache schonungslos eröffnen müssen, damit er sie aus dem Haus jagte. Nur so konnte sie der Ehe mit dem Grafen noch entgehen, nur so konnte sie die Freiheit erringen.
Aber Celina brachte es nicht über sich. Im Zorn oder Ärger hätte sie es wohl vermocht. Doch der Vater war besorgt und zerknirscht. Sie war zu sehr daran gewöhnt, sich nach seinem Willen zu richten und ihm jede Enttäuschung zu ersparen. Überdies brauchte Denys sie jetzt mehr denn je. Sie musste ihn pflegen und bei ihm bleiben, sie konnte nicht riskieren, weggeschickt zu werden, bevor er wieder gesund war.
Celina spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Sie füllten ihre Augen, bis sie den Vater kaum noch erkennen konnte. Genau diese Situation hatte sie immer gefürchtet. Nun wand sie sich wie ein Kaninchen in der Schlinge. All ihre Anstrengungen waren umsonst gewesen, hatten zu nichts geführt.
»Nimm den Federhalter, Celina. Unterschreib jetzt.«
Der Kampf um ihre Zukunft, die Hoffnung auf ein eigenes, selbstbestimmtes Leben, auf Freiheit und Glück, auf Liebe und Erfüllung - all dies war nun zu Ende. Ihre vermessenen Träume hatten nur denjenigen geschadet, die ihr am nächsten standen. Jetzt konnte sie nur noch gehorchen.
»Was ist mit Suzette?« Celina hob in einem Anflug von Trotz noch einmal das Kinn.
»Was soll mit ihr sein?«
»Sie soll in die Freiheit entlassen werden. Das hast du mir versprochen.«
»Ja, ja. Sie ist ein Teil deiner Mitgift. Du kannst mit ihr machen, was du willst ... oder was dein Gatte will.«
Celina zögerte. Die letzten Worte gefielen ihr nicht. Gleichzeitig wusste sie, dass sie kaum mehr erwarten konnte.
Sie griff nach dem Federhalter, stützte die Hand auf der Platte des Schreibtisches ab, damit sie nicht zu sehr zitterte, und setzte ihren Namen unter das Schriftstück. Zumindest glaubte sie das. Die Tränen nahmen ihr die Sicht, und sie konnte den vertrauten Namenszug selbst kaum entziffern.
Der Vater nahm den Vertrag an sich, drückte den silbernen Tintenlöscher auf die Unterschrift und wedelte danach noch ein wenig mit dem Papier, damit die Tinte nicht verwischte. »Du
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