Raecher des Herzens
ihm gut gegangen, als du ihn das letzte Mal sahst.«
»Und das stimmte auch. Als ich ihm heute Abend zum Essen ein Glas Wein in den Keller brachte, fehlte ihm nichts.«
»Mag sein, aber du hast mich dennoch hinters Licht geführt.« Offenbar war Denys wenigstens anständig behandelt worden. Aber davon wollte sich Celina nicht erweichen lassen.
»Ja, das stimmt«, antwortete Rio ohne sichtbare Reue.
Celina begann unruhig auf und ab zu gehen. »Während wir noch darüber verhandelten, wie die Belohnung aussehen sollte, falls du meinen Bruder findest, saß er längst in deinem Keller. Du hättest ihn jederzeit freilassen können, aber du wolltest, dass ich nach dei-ner Pfeife tanze. Hast du denn nie daran gedacht, dass er mir erzählen würde, was ihm widerfahren ist, sobald er wieder frei war? Waren dir die Folgen völlig einerlei ?«
»Und was, wenn ich bereit war, für die versprochene Belohnung jeden Preis zu bezahlen?«
Celina wich Rios unerbittlichem Blick aus. »Womöglich wolltest du meinen Bruder sogar umbringen.«
»Das glaubst du doch nicht im Ernst!«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll!«, platzte Celina heraus. Sie fuhr herum und starrte Rio an. »Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie erniedrigend das alles für mich ist? Hast du eine Ahnung, wie ich mich bei alledem fühle?«
»Ich glaube schon«, antwortete Rio. »Die Frage ist nur, was du nun zu tun gedenkst.«
»Nichts. Überhaupt nichts! Mir bleibt nur tiefe Abscheu, und ich hoffe, eines Tages wirst du dich genauso elend fühlen wie ich mich jetzt.«
»Du gehst davon aus, dass ich Denys aus purem Eigennutz festgehalten habe. Ich frage mich, warum das so ist.«
Celina funkelte ihn wütend an. »Welchen anderen Grund könntest du denn gehabt haben?«
»Möglicherweise wollte ich ihn in einem sicheren Versteck wissen, bis eine große Gefahr vorüber war.«
»Und von welcher Art von Gefahr sprechen wir in diesem Fall?«
»Eine Entführung wäre möglich gewesen, aber auch, dass man deinen Bruder mit Gewalt auf ein Schiff zerrt und ihn dort als Matrose schuften lässt. Selbst einen Mord halte ich nicht für unwahrscheinlich.«
»Das scheint mir ziemlich weit hergeholt.«
»Nicht unbedingt. Wer schreckt denn vor nichts zurück, um so schnell wie möglich an dein Vermögen zu kommen? Wer hätte denn am meisten zu verlieren, wenn Denys, der von gewissen Machenschaften in der Vergangenheit erfahren hat, dieses Wissen nicht für sich behielte? Wem würde es nutzen, wenn seine Braut die alleinige Erbin ihres vermögenden Vaters würde?«
Celina blinzelte erschrocken. Rios Worte ließen alles, was in letzter Zeit geschehen war, in einem ganz neuen Licht erscheinen. Der Graf hatte es zugelassen, dass Denys eine Herausforderung annahm, die eigentlich für ihn bestimmt war. Auch als Broyard sie auf dem Ball belästigt hatte, war Denys nicht weit weg gewesen, Konnte man hier noch von Zufällen sprechen? Oder wollte Rio etwa nur von seiner eigenen Schuld ablenken, indem er auf Zusammenhänge verwies, die in Wirklichkeit gar nicht existierten? »Du sprichst vom Grafen. Dieser Mann mag viele Schwächen haben, aber ich kann nicht glauben, dass er meinem Bruder mit Absicht schaden würde.«
»Weil er ein Edelmann ist? Oder fällt es dir nur leichter, in mir den Bösewicht zu sehen?«
»Du hast Denys in deinem Studio eingesperrt. Das kannst du nicht leugnen.«
»Und ich habe dir gesagt, warum ich es tat. Denys traute dem Grafen nicht. Er erzählte mir von seinen Zweifeln. Eigentlich hatte er de Lerida im Hotel aufsuchen und mit ihm über die Dinge sprechen wollen, die er erfahren hatte. Aber der Graf war nicht da, und Denys wollte später noch einmal sein Glück versuchen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass de Lerida ihn nach diesem Gespräch noch einmal gehen lassen würde.«
»Du meinst, er hätte versucht, meinen Bruder dort in seinem Hotelzimmer zu töten? Das ist absurd.«
»Keineswegs. Das Feuer in meinem Studio wurde mit Absicht gelegt. Jemand muss gewusst haben, dass Denys bei mir ist. Der Graf ahnte, dass dein Bruder ihn zur Rede stellen wollte. Er musste ihn loswerden, bevor Denys anderen von seiner finsteren Vergangenheit erzählen konnte.«
»Und woher sollte der Graf wissen, wo Denys ist, wenn noch nicht einmal ich eine Ahnung hatte?«
»Ahntest du es wirklich nicht? Ich dachte, du wärst genau deshalb heimlich zu mir gekommen.« Das stimmte natürlich. Dass Denys zuletzt in Rios Salon gewesen war, hatte auch der
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