Raecher des Herzens
späten Nachmittag auf dem Plan. Er konnte sich für ein paar Minuten zurückziehen.
In seinem Schlafzimmer schlüpfte er aus dem Hemd und wusch sich den Schweiß ab. Dann ließ er Olivier nach der Wunde sehen. Der Diener löste vorsichtig den Verband von Rios Schulter. Hier und da waren die Leinenstreifen mit der Wunde verklebt. Sie abzuziehen, verursachte höllische Schmerzen. Rio biss die Zähne zusammen und übte sich in Duldsamkeit. Alles Jammern und Klagen hätte ohnehin nichts geholfen.
»Die Leute sind heute ziemlich aufgekratzt«, sagte Olivier nach einer Weile. »Außerdem gibt es viele Neuigkeiten.«
»Hast du irgendetwas Wichtiges gehört?« Rio wusste aus Erfahrung, dass Olivier nur selten Belanglosigkeiten weitererzählte.
»Es wurde von Mademoiselle Vallier gesprochen. Vielleicht haben Sie das während des Unterrichts gar nicht mitbekommen.«
»Gibt es etwa schlechte Nachrichten über ihren Bruder?«
»Nein. Es heißt sogar, es ginge ihm ein wenig besser.
Er bewegt sich und spricht im Schlaf. Aber die Leute erzählen sich, Mademoiselle Vallier sei in der Brandnacht hier in der Passage gesehen worden. Man munkelt, sie sei mit Ihnen verabredet gewesen und man habe Sie beide sehr vertraulich die Köpfe zusammenstecken sehen.«
Rio presste einen Fluch zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. Genau das hatte er befürchtet. »Dann wird man sie jetzt wohl zwingen, den Grafen zu heiraten.«
»Falls er sie überhaupt noch will.«
»Davon gehe ich aus. Sie ist immer noch die Tochter eines reichen Plantagenbesitzers.« Rio wusste, dass dennoch nichts auf der Welt den Bräutigam davon abhalten würde, der Braut, die er inzwischen sicherlich verachtete, nach der Hochzeit das Leben zur Hölle zu machen.
»Dann wird wohl alles so kommen, wie es kommen muss.«
»Außer man tötet den Grafen.«
»Er wird sich Ihnen nicht stellen.«
»Klug von ihm«, sagte Rio grimmig.
»Aber die Dame könnte versuchen fortzulaufen.«
Rio musterte den Majordomo über die Schulter hinweg. »Und du meinst, ich soll ihr dabei behilflich sein?«
»Man könnte sie auch entführen. Vielleicht wäre sie ja nicht einmal abgeneigt.«
»Oder sie würde mich dafür hassen.«
»Ein Zustand von eher kurzer Dauer, der sich leicht beheben ließe. Dessen bin ich mir sicher.«
»Dein Vertrauen in mich ist schmeichelhaft, Olivier.« Noch während Rio das sagte, fiel ihm eine dritte Möglichkeit ein. Zunächst zögerte er und wog das Für und Wider erst einmal in Gedanken ab. Doch bald kam er zu dem Schluss, dass der Plan durchaus gelingen konnte. »Soweit ich weiß, gibt es in der Stadt gewisse Häuser, wo sich eine Dame in halbwegs angenehmer Umgebung und ohne größere Risiken für ihre Sicherheit diskret mit jemandem treffen kann. Ist dir das bekannt?«
»Durchaus.« Oliviers Tonfall klang unbeteiligt.
»Natürlich weißt du von diesen Orten. Dumme
Frage.« Olivier hielt nicht viel von Verabredungen in derlei Etablissements, und Rio selbst erging es ähnlich. Er besuchte die Damen, mit denen er eine Liaison unterhielt, lieber in deren Häusern. Dann lag die Verantwortung für die Geheimhaltung des Treffens weitgehend bei ihm. Doch die Umstände machten es zu gefährlich, erneut ins Stadthaus der Valliers einzusteigen. »Könntest du eines der Häuser, von denen wir gerade gesprochen haben, ausfindig machen? Ich denke an etwas möglichst Respektables, aber gleichzeitig Verschwiegenes und Abgelegenes.«
»Man könnte durchaus Erkundigungen anstellen.«
»Stell sie an und arrangiere alles Notwendige. Ich glaube, ein Nachmittag wäre günstig, denn zu anderen Zeiten dürfte es für Mademoiselle Vallier schwierig sein, aus dem Haus zu kommen.«
»Wie soll sie zu dem Treffpunkt gelangen? Zu Fuß dorthin zu gehen, birgt gewisse Gefahren, und in der Familienkutsche kann sie sich wohl kaum fahren lassen.«
»Soweit ich weiß, stellt man für solche Zwecke in einer ruhigen Seitenstraße eine Mietdroschke bereit.«
Olivier neigte den Kopf. »Auch das lässt sich sicher einrichten.«
Rio zögerte. Inzwischen zweifelte er schon an der Klugheit dieser Idee. Vielleicht empfand Celina es als beleidigend, zu einem heimlichen Rendezvous einbestellt zu werden. Oder sie fürchtete den Skandal, den eine Enddeckung unwillkürlich auslösen würde. Doch dann stellte er sich vor, wie er Celina in den Armen hielt, dachte an süße Küsse und an mehr.
»Bitte kümmere dich darum«, sagte er abrupt. »Und geh dann zu Suzette. Sie
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