Raecher des Herzens
wollte eigentlich nur über ihr eigenes Leben, nicht über andere Menschen bestimmen. Bis zu der Brandnacht war ihr das auch leidlich gelungen. Doch nun würde sie bald den Grafen heiraten. Rio fragte sich, ob er auch daran - wie an so vielem anderen - die Schuld trug. Hatte Celina den Ehevertrag am Ende vor allem aus Zorn über ihn unterschrieben? Das konnte man ihr kaum verübeln. Gleichzeitig wollte Rio Celinas Ärger nicht als Entschuldigung gelten lassen, falls sie ihn versetzte.
Das Haus, welches für diskrete Treffen wie das geplante gemietet werden konnte, stand in dem Viertel namens Faubourg Marigny an der Rue d Amour. Dieser Straßenname ärgerte Rio mindestens ebenso sehr, wie er Olivier amüsierte. Das Gebäude erwies sich als recht unauffällig. Obwohl von außen eher bescheiden, bot es im Inneren vier Räume von annehmbarer Größe - einen Salon, ein Speisezimmer und zwei Schlafzimmer. Außerdem gab es zwei Kabinette, wie man die kleinen Zimmer links und rechts der hinteren Galerie nannte. Sie waren mit den Schlafzimmern verbunden und dienten als Ankleide- und Badezimmer. Letzteres war besonders wichtig, denn es galt, stets alle sichtbaren Spuren eines heimlichen Treffens zu beseitigen.
Die Einrichtung des Hauses wirkte nicht gerade billig, aber als besonders erlesen konnte man sie auch nicht bezeichnen. Die Holzeinfassungen der offenen Kamine waren so angestrichen, dass man von weitem glaubte, sie seien aus Marmor. Die Sofas und den kleinen Stuhl vor dem Frisiertisch hatte man mit rosafarbenem Samt bezogen. An den Wänden hingen cremefarbene Seidentapeten mit einem Moiremuster. Auf dem Bettüberwurf aus cremefarbenem Satin lagen zahllose Kissen, deren seidene Bezüge in allen Farben des Regenbogens schillerten. Wohin man auch blickte, überall gab es samtige Stoffe in Farben, die an Wein und Rosen erinnerten, und auch an Spitzenborten hatte man nicht gespart. Wer immer für die Ausstattung des Hauses verantwortlich war, hatte sich nach Kräften bemüht, ein verführerisch wirkendes Ambiente zu schaffen, und war dabei so manches Mal übers Ziel hinausgeschossen. Rio verursachte der Anblick der opulent möblierten Räume jedenfalls beinahe Zahnschmerzen. Er versuchte, nicht daran zu denken, was Celina von der schwülen Atmosphäre des Etablissements halten würde. Dabei wusste Rio noch immer nicht, ob sie sich überhaupt herablassen würde zu erscheinen.
Unruhig ging er von einem Zimmer zum anderen. Er betrachtete die Weinflasche, die in einem silbernen Eimer voller Eisstücke stand. Der edle Tropfen war in Massachusetts gekeltert worden. Auf kleinen Tabletts standen wahlweise herzhafte oder süße Häppchen bereit. Die Vorhänge waren geschlossen. Nur Kerzenlicht erhellte die Räume. Mit jedem schweren Herzschlag verging die Zeit, und Rios Hoffnung sank.
Dann hörte er, wie vor dem Haus eine Kutsche hielt, und hob den Kopf. Draußen begrüßte Olivier Suzette, dann bat er den Kutscher, in zwei Stunden wieder vorzufahren. Rio stellte sich mit dem Rücken zum Kamin, starrte auf die Tür und wartete.
Celina fegte mit rauschenden Röcken herein. Sie brachte einen kühlen Luftzug mit sich. Ihr Cape um-
wehte sie wie eine Glocke, während sie sich schwungvoll umwandte und die Tür schloss. Endlich stand sie vor ihm und sah ihn an.
Ihre Augen leuchteten. Die Wangen waren von der Kälte, vielleicht auch durch die Aufregung gerötet. Sie atmete so heftig, dass nicht einmal die breite Borte aus schwerer Merinowolle vorn an ihrem Cape verbergen konnte, wie schnell sich ihre Brust hob und senkte. Sie wirkte frischer und schöner denn je. Doch gleichzeitig wusste Rio, dass sie ihm entgleiten würde, weil er ihrer nicht wert war.
»Ich fürchtete schon, du würdest nicht kommen«, sagte er. Dabei klang seine Stimme ein wenig rau.
Celina knöpfte die lavendelfarbenen Handschuhe aus Ziegenleder auf und stopfte sie achtlos in eine Tasche des Capes. Dann nahm sie die Haube ab und sagte: »Ich habe auch bis zuletzt gezögert.«
»Und was hat dich schließlich bewogen, doch zu kommen?« Rio zwang sich, auf Celina zuzugehen. Er nahm ihr Haube und Umhang ab und hängte beides an die Garderobe bei der Tür. Sie trug ein Kleid aus goldfarbener Seide mit einem herzförmigen Ausschnitt. Die Borte, die ihn säumte, zierte auch den Saum des schlichten Rockes. Der Stehkragen im Nacken des Kleides und die weit geschnittenen Ärmel waren mit überaus feiner Spitze besetzt und ließen Celina geradezu zerbrechlich wirken. Die
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