Raecher des Herzens
im Rahmen der Balkontür ab, warf ihr über die Schulter ein Lächeln wie aus silbernem Stahl zu und sagte zum Abschied: »Ach ja, an eines wollte ich dich noch erinnern. Ich habe dir wie gewünscht deinen Bruder gebracht. Damit habe ich mein Wort gehalten. Von jemandem, der mit mir einen Handel schließt, erwarte ich natürlich dasselbe. Du schuldest mir eine Nacht in deinen Armen.«
»Aber du sagtest doch ...«
»Ich werde dich zu nichts zwingen, das weißt du. Aber ich entbinde dich auch nicht von deinem Wort.«
Celina spürte, dass ihr heiß wurde, wie der Schweiß ihr gleich einem Gift aus allen Poren brach. Dabei wusste sie nicht, ob ihr Körper aus Wut oder aus Verlangen so heftig reagierte. »Wenn du auch nur einen Augenblick lang annimmst, dass ich unterwürfig wie eine
Sklavin in dein Bett kriechen werde, dann täuschst du dich gewaltig.«
»Auf Unterwürfigkeit lege ich keinen Wert«, entgegnete Rio mit einem leisen Lachen. »Ob du im Zorn oder im Hass zu mir kommst, ob mit der Leidenschaftlichkeit einer Widerspenstigen, die mich mit ihren Küssen zu ersticken sucht: Kommen wirst du, und zwar bald. Schließlich ist das eine Frage der Ehre.«
Damit verschwand er geräuschlos wie ein Schatten. Celina lauschte angestrengt. Doch sie wartete umsonst auf ein Ächzen des Geländers, auf ein Kratzen am Fallrohr der Dachrinne oder auf den Klang von Füßen, die nach einem gewagten Sprung im Hof landeten. Alles blieb still, und bald war es, als hätte sie Rios neuerlichen Besuch nur geträumt. Doch dafür war sie viel zu aufgewühlt. Sie wusste nicht, wie sie den nächsten Tag überstehen sollte - und wie die vielen Tage, die ihm noch folgen würden.
Sechzehntes Kapitel
Sie müssen aufhören, Monsieur Rio. Ihr Hemd ist schon ganz blutig.«
Mit einer Grimasse nahm Rio das Handtuch entgegen, das Olivier ihm bei dieser Aufforderung reichte. Nur folgen konnte er dem Rat des Majordomo noch nicht, denn einen großen Teil seines Lebensunterhalts bestritt er wohl oder übel mit dem Unterricht für ausgewählte Privatschüler. Die Arbeit mit den ehrgeizigen Klienten war überaus anstrengend und dauerte nun schon den ganzen Morgen. Rio wollte seine besten Kunden nicht einfach wegschicken. Abgesehen davon konnte er sich das gar nicht leisten. Wurde erst einmal öffentlich darüber spekuliert, ob er den Anstrengungen der Übungsstunden überhaupt noch gewachsen sei, so würde es nicht lange dauern, bis die Aasgeier über ihm zu kreisen begannen.
In Rios Schulter pochte ein zermürbender Schmerz. Die Wunde, die seit dem Duell mit Broyard ohnehin kaum Zeit gehabt hatte zu heilen, war wieder aufgebrochen. Das musste geschehen sein, als er eine Kellertür eingedrückt hatte, um zu Denys Vallier zu gelangen. Die Fechtübungen mit seinen Schülern taten ein Übriges, um die Heilung zu verzögern. Rio spürte ein warmes Rinnsal an der Seite. Es sagte ihm, dass er die Wunde versorgen lassen musste, bevor außer seinem aufmerksamen Freund und Majordomo Olivier noch andere das Blut bemerkten. Im Studio stand augenscheinlich alles zum Besten. In dem Raum im Obergeschoss drängten sich die Männer dicht an dicht. Rios Ruhmestaten in der Brandnacht hatten sich herumgesprochen. Außerdem wollte man sehen, welchen Schaden das Feuer in seinem Haus angerichtet hatte. Die Besucher standen in Gruppen zusammen oder rauchten draußen auf dem Balkon Havannazigarren. Dabei tranken sie von dem Burgunder oder Claret, den ein Freund Oliviers, ein freier Mulatte, ausschenkte. Auf einer der beiden Fechtbahnen in der Mitte des Raumes standen sich gerade zwei junge Männer gegenüber. Sie trugen Schutzmasken und dick gepolsterte Westen. Das Klirren der Klingen, das einmal glockenhell, ein andermal hässlich kratzend klang, war so laut, dass die Umstehenden fast schreien mussten, um einander noch zu verstehen.
Die Gespräche drehten sich vor allem darum, ob und wann man das St. Louis Handelshaus und Hotel wieder aufbauen würde und welcher Architekt dafür infrage kam. Man diskutierte darüber, ob Pächter wie der Restaurantbesitzer Alvarez oder Candide Avinence, der Juwelier, wieder einziehen würden. Außerdem sprach man über die Baumwollpreise oder über die Schiffe, die demnächst einlaufen sollten, und tauschte schließlich allerhand pikante Histörchen über Ehrenschulden und die Vorgänge in gewissen Boudoirs aus. Die letzte Unterrichtsstunde, die Rio an diesem Morgen zu geben hatte, neigte sich dem Ende zu, und die nächste stand erst am
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