Raecher des Herzens
sie würde ihm die Sache so schwer wie möglich machen.
Suzette griff nach Celinas Hand. Sie war nicht allein, sollte das wohl heißen. Der Graf hatte es mit zwei Gegnerinnen zu tun. Celina war ihrer Zofe ungeheuer dankbar für die kleine Geste, aber in Wirklichkeit glaubte sie nicht, dass Suzette ihr helfen konnte. Wenn der Graf seine Drohung wirklich in die Tat umsetzen wollte, würde ihr auch die Anwesenheit einer Anstandsdame nichts nutzen.
Die Droschke hatte einen gewissen Vorsprung, aber sicher wurden sie bereits verfolgt. Celina konnte nicht sehen, wie dicht man ihnen auf den Fersen war. Doch aus dem gehetzten Gesichtsausdruck ihres Entführers schloss sie, dass ein zweites Gefährt in Sichtweite sein musste. Der Graf schrie dem Fahrer zu, er solle den Pferden gefälligst Beine machen. In einer Kurve gelang es Celina, hinter dem Wagen eine zweite Staubwolke auszumachen. Sie bewegte sich schnell, war aber noch beunruhigend weit entfernt.
Bald erreichten sie die ersten Gebäude der Stadt.
Wieder gab der Graf dem Kutscher Anweisungen. Der Wagen bog in eine enge Seitenstraße ein, die kaum mehr war als eine holprige Gasse. Ein paar Ecken weiter ließ der Graf die Droschke noch einmal abbiegen. Draußen blieb alles still. Als sie noch ein drittes Mal abgebogen waren, lehnte sich der Graf mit einem zufriedenen Grinsen auf der Sitzbank zurück.
»Ich denke, wir haben sie abgehängt. Die beiden glaubten wohl schon, sie hätten mich. Aber um einen alten Fuchs wie mich zu schnappen, müssen sie schon früher aufstehen.«
»Das scheint mir auch so«, sagte Celina. Sie hatte Mühe, sich ihre Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. »Offenbar haben Sie Übung darin, zu fliehen und sich zu verstecken.«
»Mam’zelle«, raunte Suzette warnend.
»Ihre Zofe scheint klüger zu sein als Sie, Mademoiselle. Ich habe genug von Ihren Beleidigungen. Sie werden für jede einzelne teuer bezahlen.«
Celina starrte ihm geradewegs ins Gesicht. »Wenn Sie mich anrühren, werden Sie es bereuen.«
Das kurze Auflachen des Grafen klang eher erwartungsvoll als belustigt.
Celina wäre ihm am liebsten an die Gurgel gegangen. Der Drang war so stark, dass ihre Hände zitterten. Aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt für einen Angriff. Der Graf war auf der Hut, und sie waren auf engstem Raum in einer fahrenden Kutsche eingeschlossen. Celina wandte sich ab und starrte aus dem Fenster.
Die Gasse, durch die sie fuhren, musste am Rand des Viertels mit dem Namen Faubourg Treme entlangfüh-ren. Celina war noch nie hier gewesen. Sie kannte die Gegend nur aus Erzählungen. An Stelle von Häusern säumten ärmliche Verschläge die Straße. Auf den Treppen vor den Türen saßen zerlumpte Arbeiter, deren Frauen und Kinder. Im Hof neben einem Gebäude stand eine Frau über einem dampfenden Kessel. Es musste sich um eine Wäscherin handeln, denn sie rührte mit einem hölzernen Stab in kochender Lauge, während sie ein wachsames Auge auf zwei kleine Kinder hielt.
Wieder bog die Kutsche ab. Die Gasse, durch die sie nun rumpelten, war ruhiger und wirkte ordentlicher als die vorige. Die weiß gestrichenen kleinen Gebäude mit ihren schweren Fensterläden waren allerdings kaum mehr als Hütten. Sie standen auf handtuchschmalen Grundstücken und wurden im Volksmund Flintenhäuser genannt. Denn ein Geschoss, das man auf die Haustür abfeuerte, konnte nacheinander durch jeden einzelnen der hintereinander liegenden Räume dringen und durch die Hintertür wieder austreten. Noch nie in ihrem Leben hatte Celina diesen obskuren Winkel der Stadt betreten, doch sie wusste sofort, wo sie sich befand.
Dies war die Rue des Rampart, die Straße im Vieux Carre, durch die einst der hintere Teil der alten Stadtmauer verlaufen war. Nur wenige Straßenzüge von der Rue Royale entfernt tat sich eine völlig neue Welt vor Celina auf, vor allem was den Status ihrer Bewohner und deren Respektabilität anging. Hier standen die Häuser, in denen wohlhabende Gentlemen sich ihre Quadroonenmätressen hielten.
Die Kutsche hielt vor einem der bescheidenen kleinen Gebäude an. Der Graf stieg aus und befahl dem Kutscher zu warten. Dann streckte er die Hand aus, um Celina aus dem Wagen zu helfen.
»Das kann nicht Ihr Ernst sein«, sagte sie, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Hier steige ich ganz bestimmt nicht aus.« Celina scherte sich nicht um den Ruf des Viertels. Es hätte ihr noch nicht einmal etwas ausgemacht, der Geliebten des Grafen vorgestellt zu werden. Aber sie
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